Endland – Ein dystopischer Jugendroman

Ein Roman wie ein Schlag in die Magengrube. Heftig. Bitter. Streckenweise unlesbar. Vor Traurigkeit, Wut, Überforderung, weil der Text so tragisch erinnert an die vielen tausend Schicksale von Menschen, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. So sinnlos, so wenig betrauert. Kollateralschaden in den Augen der verantwortlichen Politiker_innen.

Doch von Anfang an.
Gewidmet ist das Buch den 71 Menschen.
Wer regelmäßig die Nachrichten verfolgt oder bestimmte grauenhafte Daten der jüngeren Geschichte zwangsläufig im Kopf hat, weiß: Gemeint sind die 71 Menschen, die Ende August 2015 in einem Kühllastwagen in der Nähe von Parndorf/Burgenland erstickt sind: 59 Männer, 8 Frauen und 4 Kinder vor allem aus dem Irak und Afghanistan. Ihre Namen sind bekannt, ihr Tod ging um die Welt. Geändert hat sich seit damals wenig.

Endland zeichnet das Bild eines autoritärer werdenden Deutschlands, regiert von einer rechten Partei, die nahezu alle staalichen Institutionen privatisiert hat, und damit die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter vergrößert. Geflüchtete werden entmenschlicht als „Invasoren“ bezeichnet, und nahezu ausnahmslos abgeschoben. Militär und Polizei sind hochgerüstete Grundpfeiler der neuen deutschen Gesellschaft. Es zählen wieder Werte wie Familie, Heimat, Liebe zum Vaterland, wir kennen das.

Erzählt wird der dystopische Roman aus unterschiedlichen Sichtweisen. Da ist der Soldat Anton, ein überzeugter Wähler der Neuen Alternative, Noah, der mit allem nichts zu tun haben will, aber wegen der Wehrpflicht mit Anton in der Kaserne festsitzt, und Fana aus Äthiopien, die aus ihrem Land flieht, weil sie dort keine Ärztin werden kann. Wir begleiten sie auf der mörderischen Flucht bis hin ins letzte Flüchtlingslager Deutschlands – Ausschnitte davon konnte ich erst nach mehreren Anläufen lesen, so erschütternd sind die Erlebnisse im Inneren des Kühllasters. Eine Triggerwarnung an dieser Stelle und allgemein zum Buch ist daher angebracht, die Heftigkeit der angesprochenen Szene im Speziellen kann nicht nur Jugendliche zutiefst verstören. Auch ich habe mich mit Dauerweinen durch einzelne Abschnitte gekämpft.

Das Buch wird ab 14 Jahren empfohlen. Es ist flüssig und verständlich geschrieben und: Es bildet die Wirklichkeit ab, nahezu. Denn noch herrschen hierzulande nicht diese Zustände, aber das Massensterben vor der eigenen Haustür geht jeden Tag weiter. Auch heute, auch jetzt.

Und das ist das Eindrückliche daran: Diese Erzählung lässt niemanden kalt. Sie ist hart und umbarmherzig, und jeder Mensch in Europa (und darüber hinaus) sollte Endland gelesen haben. Mit der Faust ins Gesicht.

Martin Schäuble: Endland (Reihe Hanser, dtv)

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