Ich habe mich auf die Suche nach aktuell erschienenen, (vor)lesenswerten Mädchenbüchern gemacht. Mädchenbücher heisst in dem Fall nicht, dass sie für Mädchen sind, sondern dass darin Mädchen vorkommen und ihnen nicht limitierende oder stereotype Rollen zugeteilt werden. Meine Auswahl präsentiere ich in diesem Beitrag. Alle (Haupt)Protagonist_innen in den vorgestellten Büchern habe ich als weiß gelesen, vergleichbare deutschsprachige Werke mit Mädchen of Color sind mir nicht untergekommen. Alle Werke bestehen den Bechdel-Test für Kinderbücher.
Unendlich mal unendlich mal mehr
Um magische Gedanken und Brausepulver im Herzen geht es im Debütroman Unendlich mal unendlich mal mehr der norwegischen Autorin Ingrid Ovedie Volden. Petra ist 12, lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Stadt in Norwegen, spielt Fußball im Verein und verbringt am liebsten Zeit mit Chris (er stottert und kann seine Emotionen manchmal nicht so gut kontrollieren) und Melika (sie ist Schutzsuchende aus Afghanistan und vermisst ihren Bruder, der auf der Flucht verschollen ist). Petra hasst ungerade Zahlen. Dass Zwänge eine große Rolle in ihrem Leben spielen, wird spätestens deutlich, als sie am ersten Schultag der siebten Klasse quer über den Tisch kotzt, weil sie die Zahl Pi in ihrer Unendlichkeit nicht erträgt. Es folgen Besuche beim Schulpsychologen, der ihr eine Strategie, mit dem OCD umzugehen, mit auf den Weg gibt: Ihre Zwänge werden zu magischen Gedanken, mit denen Petra arbeiten kann. Zeitgleich überschlagen sich die Ereignisse rundherum: Im Schwimmbad verliebt sie sich in den Propellerjungen, der ihr die Angst vorm Wasser nimmt, sie vernachlässigt kurzfristig ihre Freund_innen und am Ende wird sie sogar zu einer richtigen Fluchthelferin.
Eine mitreissende Geschichte, sprachlich unverschnörkelt aber intensiv in kurzen Kapiteln erzählt, Protagonist_innen mit unterschiedlichen Vielfaltsverkmalen: sehr empfehlenswerte Lektüre für Kinder und Jugendliche ab 11.
Ingrid Ovedie Volden: Unendlich mal unendlich mal mehr
Aus dem Norwegischen von Nora Pröfrock
160 Seiten, 13 Euro, ab 10 Jahren
Frieda und das Glück der kleinen Dinge
Von ihrer Großmutter hat Lena-Frieda nicht nur ihren zweiten Namen geerbt, sondern auch ihr Interesse für alles, was mit Biologie zu tun hat (allen voran Fruchtfliegen). Abgesehen davon fährt sie leidenschaftlich gern Skateboard, trägt die Haare kurz und am liebsten bequeme Kleidung – ganz anders als ihre neuen Mitschülerinnen, die sie deswegen mobben.
Die Geschichte begleitet Lena durch eine Zeit voller Umbrüche. Sie geht in eine neue Klasse, in der sie sich nicht wohlfühlt, ihre beste Freundin ist weggezogen und sie verbringt vermehrt Zeit mit ihrer Großmutter, die aber langsam alt zu werden scheint. Die zwei Mitschüler, mit denen sie sich gut versteht, können für sie eine beste Freundin nicht ersetzen, aber Lena ist mutig genug, sich auf neues einzulassen – und so fügt sich alles.
Ein warmherziges und ermutigendes Buch über alte und neue Freund_innenschaften und über ein Mädchen das anders ist – aber vor allem ganz sie selbst.
Gut eingearbeitet sind die Rückblicke auf die Kindheit von Oma Frieda, die damals mit ihrem „untypischen“ Interesse für Naturwissenschaften ihren eigenen Weg gegangen ist und gegen Rollenerwartungen ankämpfen musste
Andra Behnke: Frieda und das Glück der kleinen Dinge
160 Seiten, 14 Euro, ab 10 Jahren
Südpol 2018
Glückstage unterm Apfelbaum
Wer auf der Suche nach Büchern, in denen Mädchen Hauptrollen spielen, landet leider schnell in der Rosa-Hellblau-Falle. Dass Glückstage unterm Apfelbaum quasi das Mädchen-Pendant zu Zippel, das wirklich wahre Schlossgespenst ist, habe ich nicht sofort geschnallt. Ich möchte das rosa Buch trotzdem gerne empfehlen und zwar für alle Kinder.
Die Haupfigur ist sieben Jahre und heisst Minna. In dem Buch begleiten wir sie durch ihren Alltag, der dank ihrer stark ausgeprägten fantastischen Vorstellungskraft ganz schön aufregend ist. Banale Situationen werden für Minna zu ziemlich kuriosen und spannenden Abenteuern. Am Abend wundern sich sich alle darüber, nur Minna nicht. Für sie ist es normal, dass ihr immer wieder kleine wundersame Wesen begegnen, darunter unter anderem eine Automechanikerin und eine Prinzessin, die sich kurzerhand selbst entführt. Die einzelnen Kapitel sind witzig und liebevoll geschrieben, in sich abgeschlossen und nicht sehr lange. Das Buch eignet sich super zum Vorlesen für Kinder ab etwa 5 Jahren und zum Selberlesen für Erstleser_innen. Die niedlichen Illustrationen von Yayo Kawamura begeistern obendrein.
Kathrin Rohmann: Glückstage unterm Apfelbaum. Geschichten von Minna
Illusteriert von Yayo Kawamura
128 Seiten, 13 Euro, ab 5 Jahren
dtv Junior 2018
Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde
Für Fans von modernen Märchen und merkwürdigen Geschichten ist das durch und durch schräge Werk „Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde“. Property wurde tatsächlich im Alter von 5 Jahren bei den Fundsachen in Nettys kleiner Buchhandlung entdeckt und lebt fortan dort gemeinsam mit ihr und ihrem Sohn. Das mittlerweile elfjährige Mädchen trägt ein Geheimnis mit sich herum: Zwar liebt sie Bücher über alles, aber sie kann nicht lesen. Als eines Tages die Familie bei einer Tombola Montogmerys Bücherparadies, das erste mechanische Buchgeschäft, in dem in der Waldabteilung echte Bäume wachsen es bei den Gute-Nacht-Geschichten Betten zum Schlafen gibt, ändert sich das beschauliche Leben der drei von Grund auf und stürzt sie zwangsläufig in ein turbulentes Abenteuer. Vor allem der gewitzten, liebenswürdigen und der faszinierenden Protagonistin ist es zu verdanken, dass Betrug aufgedeckt, Halunken überführt und die aufregendste Buchhandlung der Welt weiterbestehen kann. Eine durch und durch seltsames Buch für geübte Selberleser_innen ab 8 Jahren. Den Bechdel-Test besteht es übrigens nur mit Ach und Krach, neben Property und Netty kommen ausschließlich Männer darin vor.
Sylvia Bishop: Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde
Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
192 Seiten, 13 Euro ab 8 Jahren
FISCHER KJB 2018
Danke für all die zauberhaften Empfehlungen.
Und die Figuren Kommentare.
C. Voigt Kehlenbeck