Im neuen Jugendbuch von Lilly Axster begegnen sich Jay und Leo. Jay ist 14, fast 15, immer dazwischen, zwischen den Geschwistern, Geschmäckern und Geschlechtern, im Mittelfeld der Schulnoten, Freund*innen und Hautfarben, und beschließt daher jetzt erst recht gar nichts zu sein, sein zu wollen, Messenger und Chats zu löschen, Zufallskleidung anzuziehen, kein Lieblingsessen mehr, nichts. Während diesem Versuch, möglich nichts zu sein, trifft Jay auf Leo, die neu in der Klasse ist und irgendwie viele zu sein scheint: nicht nur Leo ist da drin, sondern auch Mini-Leo, Checker-Leo und viele andere. Jay und die Leos nähern sich einander an, behutsam und mit Rückschlägen, während mit jeder Menge anderer Alltagsprobleme umzugehen ist: Rassismus, große Geschwister mit Erfahrung mit Übergriffen der Polizei, binäre Schulklos, überall fotografierende indiskrete Freund*innen, Gewalt zwischen Jugendlichen, Eltern mit Beziehungsproblemen, Haustiere mit Gesundheitsproblemen und die Lieblingslehrerin, die die Schule verlässt.
Das klingt nach vielen schweren Themen, doch die Erzählung kommt leicht daher, obwohl es anhand von Leos Geschichte um Trauma, die Auswirkungen von Gewalt und um sozialtherapeutische Wohngemeinschaften und Psychiatrie geht. Die Jugendlichen sind handlungsfähig und gewitzt, sie organisieren sich Informationen, Hilfe und Solidarität wenn es notwendig ist und in so ziemlich jeder Situation hilft ein Hundegedicht.
Bewusst wird auch die von Leo erlebte Gewalt nicht beschrieben. Es tut im Moment nichts zur Sache, Leo möchte das auch nicht erzählen, vielleicht wird es später einmal passieren, vielleicht nicht. Für die Leser*innen bedeutet das auch, dass ihnen Gewaltdarstellungen erspart bleiben, auf die leider viele mediale Thematisierungen von Gewalt im sozialen Nahbereich nicht verzichten wollen. Solche Wiederholungen gewaltvoller Handlungen nimmt das Buch eben nicht vor, vielmehr geht es um die Eröffnung von Möglichkeiten mit dem Trauma umzugehen, handlungsfähig zu werden und soziale Beziehungen und Bindungen einzugehen und diese zu gestalten.
Hier schreibt sich auch die jahrzehntelange Erfahrung von Lilly Axster mit Präventionsarbeit ein. Neben dem Schreiben von Theaterstücken und (Bilder-)Büchern arbeitet Lilly Axster im Verein Selbstlaut, der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Wien. Selbstlaut bietet nicht nur Beratung, Seminare und Begleitung an, sondern arbeitet auch präventiv mit Kindern und Jugendlichen, zum Beispiel in der Ausstellung „Ganz schön intim“. Zudem findet sich auf der Homepage eine ausführliche kommentierte Literaturliste für alle Alter zum Thema.
Ich sage Hallo und dann NICHTS, von Lilly Axster
Hardcover, 200 Seiten; ab 14 Jahre, 1. Auflage, 2023 Tyrolia