„Als Mama einmal unsichtbar war“

„Als Mama einmal unsichtbar war“ erzählt aus Hennies Perspektive, wobei Hennie eigentlich Henriette heißt, die Krebserkrankung ihrer Mutter. Und Hennies Perspektive bedeutet auch, dass die Erzählung, gerade zu Beginn Mal im Fokus springt. (Oder später auch jemand als „Dummer Scheiß-Papa“ bezeichnet wird. Aber dazu mehr, wenn es so weit ist.)

Krebs. Nebel. Das Ding, das alles verschluckt.

Die Krankheit Krebs ist im Buch sehr dominant. Wächst er doch in Mama und nimmt da immer mehr Platz ein. Zugleich bleibt er aber sehr abstrakt. Wie ein düsterer schwerer Nebel der sich über alle hängt, in alles hineinzieht, alles verschluckt und doch nicht da ist. (Und man sich oft denkt „Du dummer Scheiß-Krebs“, nur dass man dem dummen Scheiß-Krebs eben keine Tür mit Wumms vor der Nase zuknallen kann.). So abstrakt wie der Krebs ist auch Mamas verschwinden. Doppelseite für Doppelseite verschwindet etwas an ihr. Erst sind es die Worte, die sie umgeben. Von Freund*innen und Familie. Verlegen wird geschwiegen, werden Worte gesagt, die nichts bedeuten. Wird aufgehört zu lachen.

Als ich ein Kind war, war ich Hennie. Krebs hatte zwar nicht meine Mama. Aber ebenfalls eine Person, die mir sehr nah war. Und eines der schwierigen Dinge, waren die Worte, die fehlten. Denn die fehlenden Worte der Erwachsenen, gaben auch mir wenig Worte zum Anhalten. Um über das zu sprechen, was passierte. Und das ich nicht verstand. Alles was ich erlebte war ein Verschwinden. Und dieser dumme Scheiß-Krebs.

Plötzlich verschwindet alles.

Dann verschwindet Mama ins Krankenhaus. Hennie darf nicht mit und bekommt nur von Mama knapp beschrieben, was darin passiert.

Danach verschwindet Mamas Kraft. Mamas Appetit. Mamas Farbe. Mamas Geruch. Mamas Haar. Und an einem ganz normalen Tag verschwindet Mama.

Als Leser*in weiß man zu diesem Zeitpunkt im Buch kurz nicht, ob Hennies Mama ist, im Krankenhaus, im Hospiz, in einem anderen Raum der Wohnung, bei Freund*innen. So wie es Hennie eben auch nicht weiß, als plötzlich die Nachbarin am Schultor steht, um Hennie abzuholen.

Ich kann mich an manche der Ausflüge noch sehr genau erinnern, die mit mir unternommen wurden, um mich von der Krankheit und der Abwesenheit abzulenken. Ich erinnere mich auch, dass es oft gelang mich während der Dauer des Ausflugs vergessen zu lassen, was eigentlich passierte. Oft waberte aber auch das Unwohlsein ständig über uns. Und ich werde es auch nie vergessen wie es war, als wir nach Hause kamen und die Person nicht im Haus war.

Die Sache mit dem dummen Scheiß. Und der Wut.

Ich weiß, „dumm“ ist ableistisch und vermutlich gibt es Personen, die argumentieren, dass es besser wäre ein anderes Schimpfwort zu verwenden. Und auch, ob Papa als „Scheiß-Papa“ bezeichnet werden soll. Klar, werden sich Bezugspersonen wünschen, von Kindern nicht beschimpft zu werden. Jedoch sind Krankheit, und mögliche Unendlichkeit für Kinder noch unbegreiflicher als für Erwachsene. Somit also nachvollziehbar, dass sie die Wut, dann mitunter bei Personen landet, die man gerade irgendwie am ehesten für die Situation verantwortlich machen kann.

Ich habe als Kind in der Situation sicher mehrmals jemand angeschrien und Türen zugeknallt. Meistens tat es mir bereits leid als ich es tat. Nur der Schmerz, den dieser Scheiß-Krebs verursachte war eben noch viel größer.

Und dann kommt dann noch die Trauer.

Im Buch wird Wut und Trauer sehr poetisch dargestellt und erzählt. Auf der Bildebene ist es die blaue Farbe, die besonders wässrig aufgetragen ist und somit alles in sich einschlingt. Sie ist der Schatten der Mama, der Schatten der Nacht, prominente Akzentfarbe.

Das Buch gibt sowohl Hennies Wut und Angst Raum und Berechtigung, als auch Mamas Gefühlen. Eine Wut die laut ist und dann schwer wird und plötzlich traurig ist und aus Hennie hinausläuft. Und so weinen Hennie und Mama gemeinsam.

Happy und Unhappy Endings.

In „Als Mama einmal unsichtbar wurde“ gibt es ein Happy End. Mama ist krebsfrei. Auch wenn sie noch etwas schwächer ist und die erst wieder langsam wachsen.

Nicht alle Krebserkrankungen enden mit einer Heilung, oder damit, dass der Krebs kontrolliert werden kann. Mit dem Erzählen guter Tage (an denen Hennie mit Mama auf dem Sofa Filme schaut) und schlechter Tage (an denen Mama im dunklen Schlafzimmer liegt und Hennie nur ihre Hand drücken kann, um zu wissen, dass Mama noch da ist) zeichnet das Buch ein realistisches Bild, wie eine Erkrankung verlaufen kann. Ohne dabei schmerzhafte Erwartungen hervorzurufen, die nicht erfüllt werden können.

Als Mama einmal unsichtbar war. Julia Rosenkranz | Nele Palmtag, 2023 Klett Kinderbuch. 16,50€

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