Die Sportlerin – Die Geschichte der feministischen Kickboxerin Claudia Fingerhuth

Ich bin mir nicht ganz sicher, inwiefern das für Jugendliche spannend ist, es ist oft sehr komplex und ausufernd geschrieben; für mich als Feministin mit Kampfsporterfahrung, Interesse an autonomer Geschichte inklusive Selbstorganisation, Repression und Knast oder auch dem Prozess des Älter werdens in der Szene, Krankheiten, Krebs, wie weiter… sind die angesprochenen Themen ein spannender Rundumblick über eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Und da Geschichten sehr oft nur über Männer erzählt werden, ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur HERstory.

Die Biografie von Claudia beginnt mit Kindheit und in Berlin, tragisch, gewalttätig – eine Triggerwarnung ist durchaus angebracht. (Das bedeutet, dass bei einzelnen Schilderungen von erlebter eigene Erfahrungen hochkommen können, was zu Angst, Panik oder anderen psychischen Beeinträchtigungen führen kann.)

Bewegung, Sport quer durch unterschiedliche Genre sind ihre Rettung, ihr Schutzschild, ihre Antriebskraft, ihr Anker. Von Fussball zu Tennis, Leichtathletik oder Basketball liegt Claudia alles, dazwischen Schule, Ausbildung, der Auszug von Zuhause, Beziehungen und später die Entdeckung des Kickboxens und die Liebe zum feministischen Kampfsport.

Doch davor teilt der 1. Mai 1987 ihr Leben in zwei Hälften. Was heute zur institutionalisierten Party mit ritualisierten Riots verkommen ist, bedeutete damals nicht nur für Claudia einen Umbruch. Straßenkampf, ein mit Barrikaden in alle Richtungen versperrter Bezirk, brennende Autos, Polizeigewalt. Claudia war allein unterwegs, nicht organisiert, sie schaute bloß, wie die altbekannte Ordnung ins Wanken geriet. Sieben Wochen später stand der Reagan-Besuch am Programm, mit folgenschweren Auswirkungen. Eher zufällig wurde sie wegen schweren Landfriedensbruch verhaftet und saß zwei Monate in Untersuchungshaft. In Haft und danach folgt die Politisierung, sie erlebt viel Solidarität und unterstützt selbst Frauen hinter Gittern. Dann verliebt sie sich zum ersten Mal in eine Mitgefangene, und beginnt sich in Freiheit in Richtung Frauen-Lesben-Szene zu orientieren. Im gleichen Jahr lernt Claudia auch Inken kennen, die spätere Lebensliebe, mit der sie den Verein Lowkick gründen und auch 2019 noch immer tief verbunden sein wird.

Wir haben am 06.09.2009 mit 14 Frauen Lowkick gegründet. Inzwischen haben wir eigene Trainingsräume ausgebaut und für Kampfsport und Selbstverteidigung eingerichtet. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und dem Landessportbund angeschlossen. (…) Unsere Trainings richten sich an Mädchen, Frauen, Trans- und Inter-Personen, die gesellschaftliche Erfahrungen als Frauen machen. Bei Lowkick wird allgemein das Pronomen „sie“ verwendet.

Immer wieder webt die Autorin ihre eigenen Wahrnehmungen und Meinungen ein, was nicht immer ganz einfach zu verstehen ist, aber der Biografie einen spannenden Beigeschmack á la zweiten Blick aufs Ganze gibt. Teilweise wiederholen sich Erzählungen oder werden noch einmal aus einer anderen Perspektive geschildert – für mich als mittelalte Leserin spannend, weil auch an den Themen sehr interessiert. Für viele Jugendliche vermutlich eher ein langwieriges Lesevergnügen, es sei denn, mensch hat einen langen Atem. Was Kämpferinnen ja gern nachgesagt wird…

Ulrike Gramann: Die Sportlerin – Die Geschichte der feministischen Kickboxerin Claudia Fingerhuth (Marta Press) 22€

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