Ein Interview mit Verena Tschemernjak, der Macherin der gendersensiblen Toni-Kinderbücher

Auf unserem Blog stellen wir Novitäten, Klassiker und Geheimtipps vor. Die Toni-Bücher sind auf jeden Fall letzteres. Ich habe Toni zum ersten Mal im Chicklit entdeckt und gekauft, ohne vorher genauer hineinzuschauen. Als Geschenk für ein Kind, das denselben Namen trägt. Zuhause habe ich einen intensiveren Blick ins Buch geworfen und war extrem begeistert; Kinderbücher, in denen nicht das generische Maskulinum verwendet werden, sind ungefähr so rar wie Juwelen. Warum in den Büchern zum Beispiel von „Freund_innen“ geschrieben wird, erklärt Autorin Verena Tschemernjak im Anhang:

„Sprache ist Macht. Daher ist es mir wichtig Sprache zu nutzen, um so auf gesellschaftliche Verhältnisse und Missstände hinzuweisen. […] Beim Gendern geht es primär um die Öffnung des Sprachraums, also eine Erweiterung, in der nicht ausschließlich männliche Bezeichnungen genannt werden. Ich habe mich für die Verwendung des Unterstrichs entschieden, weil durch diesen die Möglichkeit gegeben wird, sichtbar zu machen, die entweder durch die zweigeschlechtliche Ordnung ausgeschrieben wurden und werden oder sich einfach nicht mit den Einen oder Anderen identifizieren wollen oder können.“

Eine weitere Besonderheit der Bücher: Die Hauptfigur Toni hat von der Autorin kein zugewiesen bekommen. Toni ist einfach Toni: Ein abenteuerlustiges Kind, das nie zwei gleiche Socken trägt, gerne mit Freund_innen spielt, Abenteuer erlebt und träumt. Ein Kind, mit dem sich sich viele identifizieren können.

Mittlerweile gibt es schon 5 Bände. Alle haben gemeinsam, dass Tonis Alltag liebevoll und stimmig illustriert im Mittelpunkt steht und dass Protagonist_innen, die man in herkömmlichen Kinderbüchern selten antrifft, sichtbar sind. Es gibt Väter, die Fürsorge- und Reproduktionsarbeit machen, es gibt Kinder, die zwei Mütter haben, es gibt Schwarze Protagonist_innen und welche im Rollstuhl.

Abgesehen davon erzählen die Bücher einfach nette Geschichten. Im ersten Band wird Toni vorgestellt und erzählt, warum Toni immer zwei verschiedene Socken trägt, nämlich weil bunte Füße viel schöner sind und Toni sich nicht entscheiden muss, welche Socken Toni anzieht.  In „Als Toni einmal traurig war“ geht es um das Gefühl der Traurigkeit. Toni ist traurig und wird liebevoll und sensibel von den Eltern begleitet. Gemeinsam denken sie über Strategien für den Umgang damit nach. „Toni und der Schnee“ erzählt eine Wintergeschichte, in der kindliche Phantasie eine große Rolle spielt. Ebenso phantastisch geht es im tierischen Tortenkrimi „Toni und die verschwundene Geburtstagstorte“ zu. In „Wie ist es in der Schule“ steht der Übergang vom Kindergarten in die Volksschule im Mittelpunkt. Schulkinder geben dabei selbst ihre Erfahrungen zur Schule bildnerisch weiter. 

Verena vertreibt die Bücher im Eigenverlag. Erhältlich sind sie im Chicklit, in der Südwind Buchwelt, bei fembooks oder direkt via bücherwurm.eu

Ich war sehr neugierig auf die Macherin dieser ambitionierten und innovativen Kinderbuchreihe und habe Verena zum Interview getroffen. Viel Spaß beim Lesen!

Wie ist die Idee der Toni-Bücher entstanden?

Ich habe internationale Entwicklung und Afrikawissenschaften studiert, mich im Rahmen des Studiums unter anderem mit Gender, Queer und Postcolonial Studies beschäftigt und mich mit Diskriminierungsformen aller Arten auseinandergesetzt. Mit Toni habe ich begonnen, als ich gerade viel Zeit hatte, es war eher Zufall, ich habe einfach angefangen zu schreiben, weil ich generell gerne schreibe. Ich habe versucht, einen genderneutralen Text zu verfassen, was irrsinnig schwer ist und habe ein bisschen damit herumprobiert. Ich hatte mir auch schon Namen für meine_n Protagonist_in überlegt – Toni war einer davon. Irgendwann habe ich nebenbei angefangen zu zeichnen und so ist die Idee entstanden, ein Kinderbuch zu machen. Gerade weil ich auch glaube, das Kinder offener mit dem Thema Gender umgehen als Erwachsene, beziehungsweise das viel leichter erfassen als Erwachsene. 

Ich bin als Autorin und Illustratorin Autodidaktin, das heisst auch, dass ich mit meine Projekten weiter entwickle. Was mir im ersten Band noch gar nicht gelungen ist, ist Diversität miteinzubringen. Es kommen nur weiße, sichtlich nicht behinderte vor. Das versuche ich in den weiteren Bänden zu ändern.

Toni gibt es auch als Volksschulprojekt, wie haben die Kinder und wie haben die Lehrer_innen darauf reagiert?

In dem Buch, das am Ende des spannenden Projekts herausgekommen ist, geht es um den Übergang vom Kindergarten in die Volksschule. Toni ist die Hauptfigur und ist unbesetzt. Das war gar nicht so einfach, nicht gerade was die Schüler_innen betrifft, sondern eher auf die Lehrer_innen bezogen, die wenig Raum für die Auseinandersetzung gegeben haben und Toni immer wieder gegendert und damit die Kinder irritiert haben.

Ich würde sehr gerne mehr Projektarbeit diese Richtung machen, weil ich die Auseinandersetzung mit und Geschlechteridentitäten mit im Rahmen eines Projekts sehr spannend finde, gerne mit Lehrer_innen, die da mehr mitgehen.

Ich verfolge gespannt die Entstehungsgeschichte des neuen Werks auf Instagram mit. Wie geht es mit Toni weiter?

Im Moment entstehen zwei Bücher. Das eine ist eine Kooperation mit einer Freundin, es wird um Individualität und Selbstbewusstsein gehen. Toni kommt in eine neue Situation und ist mit anderen Kindern konfrontiert. Es entwickelt sich eine eigene Dynamik und es geht um einen Aushandlungsprozess, aber auch um Mut. Mehr darf ich leider noch nicht verraten.

Das zweite ist ein Projekt, das schon lange in meinem Kopf herumschwirrt. Es geht um eine Reise und um Darstellungsweisen vom afrikanischen Kontinent, um den Globalen Süden, um Ungleichheit und um einen Perspektivenwechsel. So ganz konkretisiert ist es noch nicht. Aber spannend wird es bestimmt.

Und es gibt noch so viele andere Ideen!

Welche Kinderbücher liest du selber gerne?

Gerne greife ich auf Bücher zurück, die ich selbst gerne gelesen habe und die mich als Kind bestärkt haben. Die Klassiker von Christine Nöstlinger zum Beispiel, Janosch oder die „Konferenz der Tiere“ von Erich Kästner, wo auch die Kinder stark sind. Von Neuerscheinungen hat mich zuletzt das Buch von Malala Yousafzai sehr beeindruckt.

Verena, vielen Dank für das Interview!

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