„So wichtig wie das Tagebuch der Anne Frank.“ (Erich Kästner)
Fragmentarische Annäherung
Es gibt Bücher, um die kommt man in einer fragmentarischen Annäherung an den Nationalsozialismus nicht herum. So wichtig und kostbar sind die darin verorteten Erinnerungen. Erinnerungen an die systematische Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen, an einzelne Schicksale, an persönliche Bezüge und Gedanken und an das unvorstellbare Leid, das damit verbunden war. Wenige dieser Bücher richten sich dezidiert an ein jugendliches Publikum, und dieses hier – obwohl bereits 1961 auf Deutsch verfügbar, ist bislang aus mir unerklärlichen Gründen wenig bekannt.
Die Autorin Clara Asscher-Pinkhof weiß, von was sie schreibt: Als Holocaust-Überlebende nähert sie sich in kurzen Kapiteln den Stationen der Ausgrenzung, der Vertreibung und Deportation an, an deren Ende die „Sternhölle“ stand: Das Todeslager Bergen-Belsen, das Clara Asscher-Pinkhof eher zufällig als „auserwählter Stern“ im Austausch gegen deutsche Staatsbürger aus Palästina überlebte. Gemeinsam mit 222 anderen Juden und Jüdinnen (die Zahl ist historisch umstritten) konnte sie im Juli 1944 auf “einer unvergesslichen Reise” quer durch Europa dem Horror der Vernichtung entkommen.
Aus Kindersicht
Beschrieben werden zu Beginn alltägliche Situationen beginnend mit der Abwertung und damit verbundenen Ausgrenzung jüdischer Menschen Jahre zuvor. Asscher-Pinkhof, bei Kriegsausbruch bereits erwachsen, arbeitete als Lehrerin in einer jüdischen Schule. Im Mai 1943 begleitete sie, selbst Jüdin, anfangs eine Gruppe jüdischer Familien und dann nur mehr deren Kinder auf dem Weg in die Konzentrations- und Todeslager der Nazis. Durch dieses Buch sprechen diese Kinder und Jugendlichen, da die Autorin „als zu integer“ beschrieben wird, als dass sie von etwas anderem schreiben würde außer von dem, was sie selber erlebt hatte“. Erzählt wird aus Kindersicht, die unterschiedlichen Perspektiven wechseln sich ab, es gibt keine Namen, wiederkehrende Figuren oder historisch genaue Einbettungen. Umso intensiver lässt sich in die Erfahrungen der Kinder und deren Gang durch die Hölle eintauchen.
Ein Erinnerungsroman
Somit wurde ein Erinnerungsroman geschaffen, der gleichermaßen ein historisches Zeitdokument als auch eine wichtige Ergänzung der Shoah aus Kinder- und Jugendsicht ist, und damit ein unvergessliches Mahnmal für Gegenwart und Zukunft darstellt. Manchmal wirken die tragischen oder auch mitunter komisch anmutenden Schilderungen reichlich naiv, dann wieder lebensbejahend und voller Hoffnung. Tieftraurig sind die kindlichen, aber dann doch plötzlich zu Tage tretenden Erkenntnisse, dass das Undenkbare tatsächlich bevorsteht und nicht mehr veränderbar ist.
Bereits 1946 erschien „Sterrekinderen“ in den Niederlanden, 1961 dann in der deutschen Übersetzung. Nun liegt fast 50 Jahre später eine neue Übersetzung in ungekürzter Fassung vor. In der ersten Ausgabe wurden einige Passagen einfach weggelassen und in der Wortwahl wenig sensibel mit dem Thema umgegangen.
Ich muss gestehen, dass ich nicht alle Teile des Buches vollständig gelesen habe, da ich viele Schilderungen nur schwer ausgehalten habe, oder das Buch nach wenigen Seiten zur Seite legen musste, so schmerzhaft sind die Erzählungen. Dennoch ein absolut empfehlenswertes Buch für den Schulunterricht und für alle ab ca. 14 Jahren. Am besten eingebettet in diverse und fächerübergreifende Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, denn ein wenig Hintergrundwissen schadet für die Lektüre dieses Buches nicht.
Clara Asscher-Pinkhofer: Sternkinder
Illustriert von Mehrdad Zaeri-Esfahani
Übersetzt von Mirjam Pressler
288 Seiten, 16 Euro, ab 12 Jahren
Dressler 2018
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