Wer kennt es nicht: Situationen, in denen andere beleidigt, gemobbt oder gar körperlich angegriffen werden, in der Schule, im Bus und niemand sagt irgendwas. Alle schweigen. Die Betroffenen bleiben allein. Stille. Angst. Whatever. An diese oder ähnliche Momente dachte ich, als ich zu „Die Klappe aufmachen“ griff und es als Geburtstagsgeschenk für eine 13jährige kaufen wollte.
Das Buch will Mut machen sich einzumischen, für sich und andere Stellung zu beziehen, Zivilcourage kann man bekanntlich lernen und einmal positiv eingebracht, geht das nächste Mal schon viel leichter.
Allerdings bleibt dieses Jugendbuch hinter meinen Erwartungen weit zurück. Absurderweise kommen nämlich Situationen wie oben geschildert und schon von mir erwartet gar nicht vor. In 18 Texten erzählen unterschiedliche Menschen, aber leider sehr wenige Jugendliche, wo sie wie kommunizieren, kritisieren, leben und arbeiten, und warum. Meist geht es um die eigene Person, Berufsleben oder Begegnungen im ehrenamtlichen Kontext. Im Mittelpunkt, als inoffiziell deklariertes Ziel, so in meiner Lesart jedenfalls, steht das rationale, verständnisvolle Gespräch, durchdachte Argumente und sehr viel Verständnis für alles mögliche. Gewalt, Selbstverteidigung, wütender Protest gegen das Gesamtsystem kommt mir als Leserin, wenn dann, nur sehr marginal unter und bleibt als Einzelmeinung außen vor. Überhaupt entsteht der Eindruck, dass Hass gegen marginalisierte Gruppen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie udgl. ein „Problem“ einzelner sei. Kritik auf der Meta-Ebene an der allgegenwärtigen strukturellen Gewalt im Ellbogen-Kapitalismus, in der demokratische Verhältnisse abgefeiert werden und die Mehrheit so schön über Minderheiten dominieren kann, ist kaum Thema und muss mühsam zwischen den Zeilen gesucht werden.
Die meisten Texte sind darüber hinaus inhaltlich zu komplex für die allermeisten Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, und trifft auch nicht wirklich deren vielfältige Lebensrealitäten und Interessen. Ab 14 halte ich daher als Altersempfehlung für nicht stimmig, auch sonst fehlen mir konkrete Handlungsideen für Alltagssituationen junger Menschen, in denen sie es für wichtig erachten, die Klappe aufzumachen und sich für sich selbst, für andere und damit immer auch für eine bessere Welt, einzusetzen.
Carolin Eichenlaub, Beatrice Wallis: Die Klappe aufmachen. Von Menschen, die sich einmischen (Beltz & Gelberg)