Das Indie-Spiel Minecraft ist im Höhenflug, gönnenswerterweise. Im Höhenflug kommt zum ursprünglichen Produkt immer auch ‘ne Menge Merchandisingkram dazu, bekanntlich auch Bücher. Diese verkaufen sich bei einem Höhenflugprodukt ebenso offensichtlich quasi blind – Eltern, Omas, Opas, Tanten, Onkel kaufen die Titel, völlig ahnungslos. Schön für die herausbringenden Verlage, die sich mit diesen sicheren Bestsellern absichern können (” Im Kinder-Sachbuch-Ranking gibt es gegenüber dem März keine Veränderungen auf den ersten beiden Plätzen: Nummer 1 ist und bleibt Alles über Minecraft gefolgt von Minecraft, Das Einsteiger-Handbuch”).
Schöner wäre, wenn diese dann trotz dieser Blindflug-Garantie einen gewissen Anspruch an ihren Buchtitel hätten. Bei den zwei vom Verlag Schneiderbuch herausgebrachten Minecraft-Büchern, die ich hier besprechen werde, ist dies meiner Meinung nach überhaupt nicht der Fall: Die beiden der Webseite des Verlags nach aktuellen Hauptwerbeträger der Produktgruppe habe ich mir im Laden ausgiebiger angesehen – und dann wirklich verärgert ins Regal zurückgestellt:
Minecraft, das Einsteiger-Handbuch
und Alles über Minecraft (hinterm Link sowie hinterm Bild jeweils als vom Verlag auf dessen Seiten veröffentlichte, digitale Leseprobe einsehbar).
Bestseller hin oder her: Beide sind, um es mal vorweg zu nehmen, meiner Meinung nach leider(!!!) kritikwürdiger Nepp im Vergleich zum Spiel, wenngleich das Einsteiger-Handbuch immerhin deutlich mehr zu bieten hat. Absolut desaströs finde ich „Alles über Minecraft“. Das mit Hardcover verlockend aufgemachte, nicht ganz A4-große Buch glänzt nur auf dem lockenden Titel – inhaltlich macht es bei genauerer Betrachtung wenig her: Vergleichsweise wenige Informationen mit großen Setzlücken dazwischen (wer Minecraft schon mal gespielt hat, weiß nach spätestens 20 Minuten ne Menge von dem, was im Buch beschrieben wird, einfach durchs Austesten automatisch); diverse Leerinhaltsseiten, die angeblich „zum kreativen Kritzeln“ anregen sollen, und riesige Szenenabdrucke, die auf mich wirken wie „Wir Buchmacher sind schlau, setzen hier ohne Aufwand ne leere Kritzelseite/Riesenbildseite rein und lassen uns die für nen Zehner bezahlen, har har!“
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind, welches schon Minecraft spielt, von dem Buch länger als 20 Minuten durchblätternd etwas hat – und Kinder, die das Spiel nicht kennen, täten besser daran, einfach 20 Minuten in die kreative Spielumgebung von Minecraft einzutauchen und die paar spielbezogenen Infos selbst herauszufinden, statt sich mit diesem Informationshäppchenpseudophantasiedings abzugeben. Die relativ großen Buchstaben lassen sich bei Sätzen wie „Seitdem wuchs die Firma beständig, doch nicht ohne sich stets darum zu bemühen, den Indie-Game-Ethos beizubehalten und Kreativität zu fördern“ auch nicht mit Niederschwelligkeit für Leseanfänger begründen – in meinen Augen ging es hier leider vor allem darum, mit vergleichsweise wenig Inhalt viel Platz zu füllen. Scheint ja zu funktionieren, chapeau schöne Konsumwelt.
Das Einsteiger-Handbuch ist vom Informationsumfang her besser, hat mehr Seiten, kleinere Schrift, behandelt Themen durchaus etwas vertiefender und ist mit den angebotenen Infos damit auf jeden Fall interessanter (sichtbar allein schon beim Vergleich der Inhaltsverzeichnisse,d ie ihr oben in den Leseproben mit sehen könnt – die Bücher haben denselben Preis!). Dennoch, und dies gilt für beide Bücher und ist mein Haupt-Kritikpunkt, passiert hier aus meiner Sicht etwas ganz Fatales:
Minecraft ist als Computerspiel ja gerade deshalb so interessant, weil es neue Phantasieräume eröffnet. So beschreibt es die Entwicklerfirma Mojang zusammenfassend auch auf der eigenen Webseite:
“Minecraft is a sandbox construction game where you can build anything you can imagine. It also has scary monsters, like creepers who tend to want to destroy what you have built.”
Wie ich auf der republica kurz ansprach, ist es also nicht vordergründig oder ausschließlich ein Abenteuerspiel, sondern vor allem erst einmal quasi wie Legospielen ohne physikalische Gesetzmäßigkeiten. Es lässt sich kollaborativ oder gegeneinander spielen. Es lässt sich in verschiedenen Modi allein, gemeinsam, mit und ohne MOnster und Abenteuerfaktor benutzen. Zudem ist für die Spielenden der Anreiz ziemlich hoch, über die vorgegebenen Möglichkeiten hin selbst konkret gestalterisch tätig zu werden, sprich: eigene Ideen bald auch programmierseitig umzusetzen. Minecraft bietet damit neben allem Spaß nicht zuletzt einen großartigen niederschwelligen Einstieg in die Programmierwelt – für ALLE Kinder.
Die beiden hier vorgestellten Bücher jedoch tun das nicht: Fangen wir schon einmal damit an, dass der Verlag sie ausdrücklich in die Kategorie „Für Jungs“ einsortiert (siehe Ausschnitt Screenshot, anklickbar zum Großmachen; Original hier). Und das zieht sich durch: In beiden Büchern werden aus dem 32-köpfigen Team der Minecraft-Entwicklungsfirma MOJANG diverse Männer, aber genau null Frauen vorgestellt – ist das wirklich die Unternehmensrealität? Und selbst, falls ja (auf der Mojang-Seite sind im – nicht komplett abgebildeten – Team immerhin zwei Frauen aufgelistet, für Skandinavien wohl eher eine schlechte “Ausbeute”): Soll das für die Zukunft so zementiert bleiben, indem man(n) der nachfolgenden Generation dieselben Klischees vermittelt, mit denen vorherige Generationen aufgewachsen sind? Ich kann mir eine solche Herangehensweise für ein derart offenes Projekt einfach nicht vorstellen und bin schockiert von dieser druckseitigen Darstellung.
Diese zieht sich aber auch inhaltlich-sprachlich durch: In kurzen, „spannungsgeladen-durchschaubaren“ Sätzen werden quasi ausschließlich die Aspekte „Action, Abenteuer, Gefahr“ betont („Grabe!, baue!, überlebe! – mit möglichst tiefer Stimme, theatralischer Musik und Klötzchenblut im aufwendig prodizierten Trailer zum Buch, welches in diesem viel dicker und interaktiver wirkt, als es natürlich ist). Das reduziert nicht nur Minecraft auf ein tumbes Abenteuerspiel wie viele andere, sondern entspricht auch den seit einigen Jahren u.a. auch von Lego (re?-)produzierten Klischees dessen, was die erkorene Zielgruppe „Jungs“ angeblich gerne mag und/oder gefälligst zu mögen hat. Wer hier Henne und wer Ei ist, sprengt den Rahmen (- es sei hier nur am Rande erwähnt, dass nicht alle Jungs Minecraft gerne im Überlebensmodus spielen!).
Ich meinem Umfeld spielen jedenfalls auch etliche Mädchen Minecraft. Ich wünsche ausdrücklich, dass das so bleiben darf. Die Klischeeproduktionsmaschine „Minecraft = Jungsspiel“ scheint aber (nicht nur) bei Schneiderbuch gerade mächtig hochzutouren. Das finde ich nicht nur ärgerlich, sondern regelrecht desaströs. Bye bye, Selbstgebautekreativwelt-Minecraft-Gleichberechtigung für alle. Dürfen wir dann von Schneiderbuch bald ein Pamphlet mit rosa Blöckchentitel und Erklärungen, wie man sich von den Jungs Schleifchen ins Fell der Minecraft-Schafe programmieren lassen kann, erwarten? Ins Schema passen würde es jedenfalls.
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