Good Night, Boys

Die Good Night Stories für Rebel Girls haben einen Boom in der Kinderbuchwelt ausgelöst. Meine größte Hoffnung war, dass das Werk vor allem den Weg für mehr in Kinderbüchern ebnet, für vielfältige und inspirierende Protagonistinnen fernab von Klischees und Rollenbildern. Ein Blick in die aktuellen Verlagsvorschauen zeigt, dass sich diesbezüglich immer noch nicht viel getan hat. Es gibt zwar einzelne Lichtblicke, aber die verstecken sich unter massenhaft Büchern, die ich meinem Kind lieber nicht vorlesen will.

Ein Trend, der mir hingegen ins Auge gestochen ist, ist der, dass sämtliche Verlage den Rebel Girls sehr ähnliche Bücher herausbringen: Frauenbiographien, schön illustriert, manche besser und manche schlechter aufbereitet als das Original. Vermutlich ebenso motiviert durch den massiven Verkaufserfolg der Rebel Girls ist ein „Pendant“ dazu erschienen: Stories for Boys who dare to be different – Vom Mut, anders zu sein. Ich war superneugierig und gespannt, weil ich mir wenig darunter vorstellen konnte. Wenn es sich im Zusammenhang mit einem Buch, dass sich klar feministisch positioniert, präsentiert (die sehr ähnliche Aufmachung des Covers lässt mich das zumindest vermuten), wird es wohl um gehen? Wenn es um Männer geht, die anders sind, wird thematisiert zu wem sie eigentlich anders sind?

Während die Rebel Girls gemeinsam haben, dass sie Frauen sind, die sich gegen konventionelle Erwartungen und patriarchale Vorgaben hinweggesetzt haben und ihren eigenen Weg gegangen sind (darunter absolut nicht ausschließlich die Guten: Wir erinnern uns an eine Nazi-Kollaborateurin, eine Frau, die einen Genozid ermöglicht hat, eine imperialistische Kriegsbefähigerin und die die Iron Lady herself) stehen ihnen in mit den Different Boys Männer entgegen, die die zu einem besseren Ort gemacht haben. Weil sie Mitgefühl haben, großzügig sind und an sich selbst glauben. Zusammengefasst: Es ist ein Buch über Männer, die nicht zu den Schlechten gehören und manchmal ganz gute Ideen hatten. Ein Vorwort, in dem Platz für eine Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen und toxischer Männlichkeit gewesen wäre, gibt es nicht.

Viele der Portraitieren haben auf jeden Fall spannende und beeindruckende Lebensgeschichten. Einige von ihnen sind Rassismusbetroffene und/oder haben ihre bildungsferne überwunden. Bei den allermeisten beginnt jedoch ein großes Fragezeichen über meinem Kopf zu schweben. Jamie Oliver setzt sich für gesundes Schulessen ein, Roald Dahl hat fantasievolle Geschichten geschrieben, Vincent van Gogh schnitt sich ein Ohr ab, weil er mit seinen Gefühlen nicht umgehen konnte (uff…) und Bill Gates erfand Computer, wurde damit der reichste Mann der und spendete etwas von seinem Vermögen für wohltätige Zwecke. Ich verstehe bei den meisten der vorgestellten Männern nicht, wie die Brücke zum Mut zum anders sein geschlagen werden kann. Und dabei habe ich noch gar nicht berücksichtigt, auf wessen Kosten sie ihre idealistischen Träume und Ideen verwirklichten und wie sie von patriarchalen Strukturen profitierten. Ich kann kaum aufgebrochene Männlichkeitsbilder und Rollenklischees in den Stories erkennen. (Dass unter den Boys mindestens (!) zwei häusliche Gewalttäter sind, hat einen noch schaleren Beigeschmack.)

Ein kleiner Dialog, der sich tatsächlich so zugetragen hat, nachdem mein Kind das Buch entdeckt hat:

Kind (7): „Aha, Boys heisst Buben, das ist also ein Buch für Buben.“
Mutter: „Es ist ein Buch über Männer.“
K7 gönnerhaft: „Naja, es kann ja auch Mal ein Buch über Männer geben.“

In unseren Regalen stehen tatsächlich vor allem Bücher über Frauen, das Kind weiß, dass das nicht die Regel ist. All diese Bücher gibt es aus einem einzigen Grund: Weil in allen restlichen so gut wie ausschließlich Männer vorkommen. Braucht es da noch eines, vor allem eines das sich klar auf ein erfolgreiches feministisches bezieht? Der Verdacht liegt nahe dass es sich schlicht um Gender-Marketing unter dem Deckmantel der Progressivität handelt. Gründe dafür gibt bekanntlich. Folgende Rezension fand ich sehr entlarvend:

Ich stimme zu, dass es ein Problem ist, dass Buben keine Bücher über Mädchen lesen (wollen). Aber ich finde ein Buch, dass Frauen ausschließt, kann nicht die Antwort darauf sein. Stories for Boys who dare to be different ist leider nicht das „Jungs-Buch“, dass ich als feministische Mutter händeringend gesucht habe.

Weiterführende Lektüre: Why no stories for rebel children? Don’t divide young readers by gender (The Guardian)

Ben Brooks: Stories for Boys who dare to be different – Vom Mut, anders zu sein (Loewe)

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