Nicola Davies „Ein Baum ist ein Anfang“ ein ist nachdenkliches Buch über einen Sack voller Eicheln und was daraus werden kann. Es zeigt, dass sich ein Mensch verändern kann, wenn er das Werkzeug dafür erhält. Aber auch, wie ein einzelner Mensch eine Stadt und die Gesellschaft verändern kann.
Aufwachsen im Grau
Die Protagonistin des Buches, deren Namen wir nicht kennen, wuchs in einer grauen, hässlichen Stadt auf. Alles war heruntergekommen, es gab kein Grün und keine Freude. Die Menschen, die dort lebten, waren das Abbild der Stadt geworden. Das Mädchen „lebte davon, die zu bestehlen, die kaum mehr hatten als ich.“ Die Illustrationen von Laura Carlin spiegeln in der ersten Hälfte des Buches den Zustand der Stadt wieder, die Bilder sind in dunklen Tönen gehalten. Buntstift- und Wasserfarbenillustrationen fügen sich zu einem grauen Schleier trister Szenerie zusammen. Erst nach Wendung der Geschichte nutzt Carlin die volle Pracht des Farbkastens.
Ein Sack voller Eicheln als Wurzel eines neuen Lebens
Das Leben der jungen Diebin ändert sich, als sie versucht, eine alte Frau zu bestehlen. Die hält ihre schwere Tasche beherzt fest und ringt der Diebin ein Versprechen ab: „Wenn Du versprichst, sie zu pflanzen, lasse ich los“. Die junge Frau versteht nicht. Doch mit der Aussicht auf die pralle Tasche stimmt zu. Später findet sie in der Tasche einen Sack voller Eicheln. Nun weiß sie: „Ich hielt einen Wald in den Armen und wurde zu einem anderen Menschen.“ Die junge Frau hält ihr Versprechen, denn nun ist sie reicher, als sie es sich je erträumen konnte. Es dauert, aber als die Eicheln Wurzeln schlagen und ihre grünen Triebe sich zeigen, verändert sich die Stadt zum Guten. Die junge Frau zieht weiter und weiter, von einer grauen Stadt zur nächsten. Eines Tages wird sie selbst von einem jungen Dieb überfallen, dem sie genau das Versprechen abnimmt, das ihr abgenommen wurde.
Ein Mensch ändert sich
Das Buch hat mich vom ersten Seitenaufschlag berührt: die bedrückenden Einblicke in das Leben in Armut, das Leben in einer grauen Stadt. Aber auch die Hoffnung, dass es der jungen Diebin eines Tages besser geht. Und das tut es, weil ihr jemand das Werkzeug für die Veränderung gibt. „Ein Baum ist ein Anfang“ und jedes Kind, jeder Mensch kann in der Gesellschaft einen Unterschied machen, das will uns dieses Buch eindrucksvoll erzählen.
Die Leerstelle
Gemeinsam ist vielen (Kinder-)Büchern über Armut die Abwesenheit von Politik, von kollektiver Verantwortung für Einzelne. Oft fehlt auch die Reflexion darüber, wie die strukturellen Bedingungen für ein Leben in Armut zu überwinden. Ein Sack voller Eicheln, den eine ältere Frau der Protagonistin überlässt, verändert das Leben der jungen Diebin. Wir wissen nicht, wovon sie sich in der kommenden Zeit ernährt. Wir wissen nicht, warum sie stiehlt um an Essen und Geld heranzukommen. Warum ist ihr Leben prekär? Warum ist die Stadt, in der sie lebt eine Stadt der Armut? Fragen, die wir als Gesellschaft eigentlich ins Zentrum setzen sollten. Das Buch gibt darauf keine Antwort. Das verstreute Wort Steuern im Buch ist schwer zu deuten. Trotzdem ist eine Mahnung an Erwachsene, das Gute, nicht das Schlechte an anderen zu sehen.
Empfohlen ist das Buch ab vier Jahren. Es würde auch als Bilderbuch für Erwachsene durchgehen. Das Buch ist im Aladin Verlag erschienen und kostet 16 Euro.