Mama hat FOMO

Diese Rezension stammt von Gastautorin Irene Maria Gruber. Sie ist Mama und Primarstufenpädagogin, Germanistin und Skandinavistin und schreibt auf ihrem Blog Oh Kiddo! und für BIORAMA – am liebsten über Bücher und andere brauchbare Dinge für Kinder. 

© Beckmann/Goedelt: Carlotta, Henri und das Leben. Mama ist offline und nix geht mehr“, Tulipan 2018

Das Akronym FOMO ist die Abkürzung für „Fear of missing out“, die Angst, etwas zu verpassen. Das Phänomen wird sehr häufig mit dem Druck, ständig online sein zu müssen, in Verbindung gebracht. Ein neues hervorragend erzähltes und illustriertes Kinderbuch beschäftigt sich mit diesem Thema: „Carlotta, Henri und das Leben. Mama ist offline und nix geht mehr“, erschienen im Tulipan Verlag, macht auf den Einfluss von Smartphones aufmerksam und zeigt, dass das Leben im Offline-Modus sehr viel Schönes zu bieten hat.

© Beckmann/Goedelt: Carlotta, Henri und das Leben. Mama ist offline und nix geht mehr“, Tulipan 2018

„Oje. Ob Mama internetsüchtig ist?“ Diese Frage stellen sich Carlotta und ihr Zwillingsbruder Henri zu Beginn der Handlung höchstens in ihren Gedanken, denn eigentlich ist ihre Mama echt cool. „Sie hat über achthundert Freunde auf Facebook, ist in mindestens siebenunddreißig WhatsApp-Gruppen, schaut alle halbe Stunde, was auf Twitter passiert, skypt mit ihren Freundinnen, und seit Neuestem hat sie sogar Snapchat. Sie hat immer das neueste Smartphone, kennt sich super mit Computern und Apps aus und findet, dass unsere Wohnung digital noch einiges verträgt.“ Wer hätte nicht auch gern solche Eltern? Doch – Moment! Carlottas und Henris Papa ist das komplette Gegenteil ihrer Mama: Anstatt auf dem Tablet zu spielen liebt er Brettspiele wie „Fang den Hut“, er bevorzugt ein Telefon mit Kabel, hört Radio und liest für sein Leben gerne Bücher. Wie passt das zusammen? Ja, leider überhaupt nicht.

© Beckmann/Goedelt: Carlotta, Henri und das Leben. Mama ist offline und nix geht mehr“, Tulipan 2018

Nun haben die Ferien begonnen, und Mama lässt ihr Smartphone dennoch nicht aus den Augen: Sie ist Grafikerin und könnte Wichtiges aus ihrem Büro verpassen. Der Streit ist vorprogrammiert. Als Papa zu einem Fußballturnier geht, bleiben Carlotta und Henri mit Mama zu Hause und dürfen stundenlang auf deren Laptop „daddeln“. Sie übersehen schließlich die Zeit, werden von Papa erwischt und außer Haus geschickt. Doch dann haben die Geschwister eine Idee, wie sie Papa ärgern könnten. Sie wollen den Timer in der Kaffee-App auf Mamas Handy ändern. Denn auf die möchte Papa nicht mehr verzichten, da sie dafür sorgt, dass morgens vor dem ersten Kaffee die Maschine automatisch eingeschaltet wird. Heimlich verschwinden die Zwillinge mit dem Smartphone im Bad – und als Mama unterwartet in der Tür steht, geschieht das Unglück. Unabsichtlich lässt Henri das Handy ins Klo plumpsen.

Ferien ohne Smartphone, ohne Apps und ganz ohne Passwörter für Mama, ohne Zocken, ohne gestreamte Filme und ohne Musik für Carlotta und Henri. Die Reparatur wird nämlich eine Woche lang dauern. Nur Papa scheint sich zu freuen und überredet den Rest der Familie, eine Woche lang bewusst offline zu leben. Die vier machen Tagesausflüge, fahren ohne Karten- und Anti-Mücken-Apps durch die Gegend und haben immer mehr Spaß. Langsam aber sicher verschwindet das Internet aus ihren Gedanken, und abends in der Pizzeria, als sie die Leute, die auf ihre Handys starren, beobachten, muss sogar Mama zugeben: „Wie gut, dass wir offline sind.“

 Anette Beckmann hat eine humorvolle und zugleich nachdenklich stimmende Geschichte geschrieben. Sie zeigt den Nutzen, aber auch die Gefahren der zunehmenden Digitalisierung auf, und hält vermutlich so manchem Kind oder Erwachsenen den Spiegel vor. Anhand von kurzen Sachtexten werden zahlreiche Fachausdrücke aus der Welt des Internets und des Smartphones erklärt, sodass man ganz nebenbei auch einiges dazulernt, Marion Goedelts herausragende Illustrationen passen zudem perfekt zum Stil des Textes. Schön ist, dass trotz aller Brisanz des Themas auf den erhobenen Zeigefinger verzichtet werden konnte.

Im Anhang finden sich übrigens vier zusätzliche Mitmach-Seiten zum Reflektieren und Ausfüllen. Eine alles in allem überzeugende Lektüre!

„Carlotta, Henri und das Leben. Mama ist offline und nix geht mehr“ von Anette Beckmann und Marion Goedelt (Tulipan, 64 S., ab 7 Jahren). Gedruckt in Deutschland (Grafisches Centrum Cuno, Calbe). Keine Angabe zur Herkunft des Papiers.

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