Zum Themenkomplex Nationalsozialismus, Shoah und Erinnerungspolitik haben wir schon einiges geschrieben und auch rezensiert (nutzt die Suchfunktion!), und unser Mantra dazu lautet nach wie vor, dass es nie genug Bücher geben kann. Je breiter und diverser sich junge Leser_innen dem Thema nähern können, desto deutlicher und tiefer wird das eigene Erinnern an diese Zeit. Denn jedes Buch ist ein wichtiger Beitrag, spiegelt er doch einzelne Schicksale im großen Ganzen des mörderischen Terrorregimes der Nazis wider, die sehr bald nicht mehr persönlich von Zeitzeug_innen und Überlebenden erzählt werden können. Und nur so – über das Weitertragen der Erinnerung – werden wir für nachfolgende Generationen der Losung “Niemals vergessen!” gerecht.
Gerade für Jugendliche und gleichermassen auch für Erwachsene, die nicht so gern viel Text lesen, ist diese Graphic-Novel gut geeignet, um in die Erinnerungen von Tobias, Livia, Selma, Emerich, Susanna und Elisabeth einzutauchen. Das Buch ist eine Übersetzung aus dem Schwedischen und basiert auf den Erlebnissen dieser sechs Überlebenden, die nach dem Krieg in Schweden strandeten. Eine Europakarte mit den erwähnten Orten und Todeslagern, eine Zeittafel und ein Glossar finden sich ebenso im Buch wie ein Vorwort, das den Bogen von damals zum Heute spannt und an unsere Verantwortung, an das “Nie wieder!”, erinnert.
Jede Geschichte steht für sich, beginnt ähnlich und zeichnet ein düsteres Bild beginnend vom Absprechen fundamentaler Rechte bis hin zur Vernichtung jüdischer Menschen in den Todeslagern der Nazis. Livia zum Beispiel wächst in Transsilvanien auf, gemeinsam mit ihrer Schwester und den Eltern, der Vater führte ein Unternehmen. In der Schule erlebt sie Schikanen gegen sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, doch sonderlich bedroht fühlte sich die Familie nicht, Nazi-Deutschland scheint weit weg von Rumänien. Doch als 1940 Rumänien gezwungen wurde den Norden des Landes an Ungarn abzutrennen, kommt es rasch zu antisemitischen Übergriffen, Plünderungen und Deportationen. Livia überlebt in Folge Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen. Als sie von der Möglichkeit erfährt in Schweden sechs Wochen auf “Erholung” zu gehen, sagt sie zu und lernt dort später ihren zukünftigen Ehemann Hans kennen.
Die industrielle Massenvernichtung von Juden und Jüdinnen ist keine leichte Kost, auch und gerade nicht in Comicform. Die Zeichnungen sind brilliant, emotional, lebendig, dessen Wirkung ist verstörend, macht Angst, verursacht Trauer und/oder Wut. Sinnvoll erachte ich daher nach der Lektüre eine sensible Nachbesprechung oder zumindest ein empathisches Auffangen der hochkommenden Emotionen. Und: Stellt euch auf Fragen ein, denn (wie immer bei dieser Thematik): Viele Fragen bleiben offen oder vielmehr, müssen offenbleiben.
Jessica Bab Bonde, Peter Bergting: Bald sind wir wieder zuhause (Cross Cult), €20