1,2,3: Alle Tiere frei

Die folgende Rezension ist ein Gastbeitrag von Christof Mackinger. Danke dafür! <3 Christof schreibt sonst als freier Journalist über Ökologie, Gefängnis, Rechtsextremismus, Mensch-Tier und Soziale Bewegungen.

Linus‘ Blick wanderte zum Stall. Mila hatte den Maschendraht nicht etwa an einer Stelle aufgeschnitten, um das Tier herauszuholen, sondern ihn komplett abgetrennt und in Stücke geschnitten.

„Los, abhauen!“, zischte Mila. Linus kletterte aus dem Graben, dann liefen sie nebeneinander her zum Moped. Dort angekommen, verstaute Mila ihre Sachen rasch im Rucksack. Er wirkte nicht praller als zuvor, also konnte kein totes Kaninchen darin sein.

„Wo ist das Kaninchen?“, fragte Linus.

„Es ist frei.“

Erst dann realisierte Linus, dass der ‚geheime Club‘, in den er gerade erst aufgenommen wurde, eine Tierbefreiungsorganisation ist – geleitet von seinem Schwarm, der rechthaberischen Klassenkameradin Mila.

Im Buch „Eins, zwei, drei – alle Tiere frei!“ erzählt die niederländische Kinderbuchautorin Mariken Jongman die Geschichte des elfjährigen Linus Homan, der sich nichtsahnend einer Gruppe von Tierbefreier_innen anschließt. Ihm kommen nach den ersten Aktionen, wie der oben beschriebenen, nicht nur Zweifel über die Rechtmäßigkeit und moralische Vertretbarkeit ihrer nächtlichen Aktionen. Linus zweifelt auch an der Durchführbarkeit der geplanten Befreiungsaktionen, wie etwa der Freilassung von tausend Schweinen. Letztendlich bringt ihn seine Freundin Mila aber auch zum Überdenken seines eigenen Fleischkonsums. Die radikale Vegetarierin stößt Linus und ihr gesamtes Umfeld immer wieder mit der Nase auf das allzu Offensichtliche: Wie kann man sich gegen Ungerechtigkeit, oder wie sie es nennt, „für die der Welt“ einsetzen, ohne die massenhafte Schlachtung von Tieren nur irgendwie in Frage zu stellen?

Nach nur wenigen nächtlichen Tierbefreiungsaktionen, angeführt von Mila, gelingt ihnen gemeinsam der große Clou: Mit der Hilfe von Milas Oma kaufen die beiden Kinder – ganz legal – zwei Schweine von einem Mastbetrieb frei und bringen sie auf einem Gnadenhof unter. Die lokalen Medien stürzen sich auf die Story, berichten vom Leiden der Mastschweine und Linus kann damit beweisen, dass seine Ideen mindestens so gut sind wie die Milas. Durch das mediale Spektakel wird die Polizei auf die beiden aktivistischen Kinder aufmerksam. Im Polizeiverhör gesteht Mila alle nächtlichen Aktionen, während Linus dem geleisteten Treueschwur des geheimen Clubs bis zuletzt aufrecht hält. Was dies mit der – doch recht ungleichen – zwischen den beiden Kinder macht, ist zentraler Bestandteil der Erzählung Jongmans.

„Eins, zwei, drei – alle Tiere frei!“ ist ein spannendes für Kinder, geeignet ab zehn oder elf Jahren. 230 unbebilderte Seiten erfordern schon etwas Leseerfahrung. Die knappen Kapitel und die einfache, bildliche erleichtern es aber auch jungen Leser_innen, die komplexen des Protagonisten nachzuvollziehen.

Die Autorin verbindet in ihrem interessante Themen wie die zwischen zwei Kindern im anfänglich pubertierenden Alter und das gesellschaftlich produzierte Tierleid in der Fleischproduktion. Leider greift Jongman dabei zu oft auf Klischees zurück: So etwa die manipulative, übertrieben radikale Vegetarierin, die zu kopflosen Aktionen neigt, welche den Tieren selbst sogar schaden können. Oder die gutmütige, keksebackende Oma, die leicht manipulierbar und immer verständnisvoll ist.

Mitreißen können die unvorhersehbaren Wendungen in der Handlung, sowie die ausführlich beschriebene Gedankenwelt des Protagonisten Linus. Etwas gedämpft wird der Lesespass gegen Ende des Romans von der Moral der Geschichte: Einzig das legale Freikaufen von Schweinen aus der schrecklichen Schweinemast ist gesellschaftlich erwünscht und wird mit Aufmerksamkeit belohnt.

Der überbordende, moralisierende Radikalismus von Mila, der selbst den Konsum von Fleisch in Frage stellt, wird hingegen nicht nur juristisch als Sackgasse, sondern auch sozial als nicht erwünscht und erfolgsversprechend beschrieben.

In Summe ein nettes Kinderbuch, das interessante Impulse liefert und zum Lesen motiviert. Die in „Eins, zwei, drei – alle Tiere frei!“ dargestellten, zwischenmenschlichen Dynamiken können anregen, um Themen wie Freundschaft, Aufrichtigkeit und das gesellschaftliche Verhältnis zu Tieren mit den jungen Leser_innen zu diskutieren.

Mariken Jongman: Eins, zwei, drei – alle Tiere frei! (Verlag Urachhaus)

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