Zeitgemäße Kinderbücher über Bauernhöfe und Nahrungsproduktion

Kürzlich sind zwei empfehlenswerte Bücher zum Thema (Tiere) Essen erschienen, die sich vor allem durch ihre grafische Aufmachung unterscheiden, aber auch wunderbar ergänzen. 

Das wahre Leben der Bauernhoftiere ist die unbequeme Antwort des Klett-Kinderbuchverlags auf einen Shitstorm. Schweinezüchter_innen wurden auf ein schon älteres aus dem Verlag aufmerksam: In Alles lecker wird ein Kälbertransport abgebildet. Die Massentierhalter_innen empfanden diese reale Darstellung offenbar als Kindern nicht zumutbar.

Illustrationen von Lena Zeise aus „Das wahre Leben der Bauernhoftiere“, Klett Kinderbuch 2020

Das wahre Leben der Bauernhoftiere gibt nun, fernab von Bilderbuchklischees, einen realistischen und wichtigen Einblick in die industrielle aber auch die ökologische Tierhaltung. Natürlich kann und soll Kindern (und Erwachsenen!) durchaus zugetraut werden, zu wissen, dass zum Beispiel Milch nicht von glücklichen Kühen kommt, die nichts lieber tun, als den Menschen ihr Eutersekret abzugeben oder wie Schweine getötet werden, damit wir sie essen können.

Die üblichen Vorgänge rund um die Haltung von Schweinen, Kühen, Ziegen und Hühnern werden lebensnah aber sachlich und ohne Wertung beschrieben. Die fotorealistischen Illustrationen von Lena Zeise fangen die Atmosphäre auf einem Bauernhof beeindruckend ein. In den verständlichen Sachtexten geht es um die verschiedenen Tiere und ihre Produkte, die Menschen konsumieren. So ist zum Beispiel genau beschrieben, wie das Melken mit Maschinen funktioniert oder was in einer Brüterei passiert. Weitere Kapitel gehen auf Tiertransporte und Schlachthöfe ein (allerdings ohne explizite Bilder). Im Anschluss gibt es Wissenswertes zur biologischen Tierhaltung zu lesen, unter anderem den Hinweis, dass Tiere, die so gehalten werden, genauso konventionell geschlachtet werden wie alle anderen. 

Dieses besondere Bauernhofbuch stellt die Verbindungen zu den Entscheidungen her, die Familien Tag für Tag mit der Wahl ihrer Speisen treffen und lädt dazu ein, Gewohnheiten und Normalität zu reflektieren, ohne Kitsch und Euphemismus.

Lena Zeise: Das wahre Leben der Bauernhoftiere
40 Seiten, 16 Euro,
Klett Kinderbuch 2020

Wo kommt unser Essen her?“ fragt die Illustratorin und frischgebackene Sachbuchautorin Julia Dürr in ihrem neuesten Werk – und liefert Antworten. Dürr beschränkt sich dabei nicht nur auf Tierprodukte (Milch, Fisch, Fleisch und Eier) sondern beschreibt sehr anschaulich, woher Brot, Äpfel und Tomaten kommen. Auf jeweils einer großformatigen Doppelseite stellt sie visuell die Produktionsabläufe in kleinen und großen Betrieben einander gegenüber: zum Beispiel eine Backstube einer Backfabrik oder einen Bauernhof mit Hofschlachtung einem Schlachtbetrieb. Auf der jeweils folgenden Doppelseite gibt es dann allerhand großartig aufbereitetes und leicht verständliches Hintergrundwissen zu diesen Prozessen zu lesen.

Ilustrationen von Julia Dürr aus „Wo kommt unser Essen her“, 2020

Ihr Ton ist nie wertend, sondern deskriptiv. Julia Dürr hat für dieses intensiv in Betrieben recherchiert, skizziert und notiert und dabei obendrein viele spannende Kleinigkeiten und Details entdeckt, die sie mit den Betrachter_innen teilt. Im Zuge ihrer Feldforschung war sie sogar bei einer Schlachtung dabei. Beeindruckend ist, dass sie in dem Buch recht explizit den Tötungsvorgang bei Schweinen darstellt. Die Reaktionen darauf beweisen, dass das Thema in dieser Form Kindern zuzutrauen ist (zumindest meine beiden waren ziemlich fasziniert). 

Auch im Hinblick auf das Thema ist das eine große Bereicherung. Viele Lohnarbeiten, die sonst in typischen Kinderbüchern nicht sichtbar sind, werden dargestellt. So gibt es auf Fischfarmen Menschen, die via Computer schauen, was unter Wasser gerade so passiert, auf Apfelfarmen arbeiten zahlreiche Apfelpflücker_innen und im Schlachtbetrieb gibt es Menschen, die Schweine töten, zerlegen und prüfen. „In der Backfabrik arbeiten mehrere Angestellte. Einer davon ist Bäcker.“ All diese Beispiele sind ein hervorragender Anlass, um mit Kindern über Arbeitsbedingungen und die moderne Arbeitswelt zu sprechen und regen auch Erwachsene, die solche Tatsachen gerne verdrängen, zum Nachdenken an. 

Im Anhang ermutigt Julia Dürr die Leser_innen zur eigenen Recherche und erklärt, wie  kleingedruckte Zahlen, Codes, Adressen und Abkürzungen dabei können. Wo kommt unser Essen her? ist ein wunderbares, hoch informatives und sehr zeitgemäßes Sachbuch. Viel Liebe gibt es außerdem für die niedlichen Illustrationen, die trotzdem der krassen Thematik absolut gerecht werden.

Julia Dürr: Wo kommt unser Essen her
40 Seiten, 15 Euro, ab 6 Jahren
Beltz & Gelberg 2020

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