Kinderbücher über das Gefängnis gibt es wenige, über das schwermütige, aber tief beeindruckende „Haselnusstage“ habe ich kürzlich geschrieben.
Das nun vorliegenden „Im Gefängnis: Ein Kinderbuch über das Leben hinter Gittern“ ist wohl leider das genaue Gegenteil von „Haselnusstage“. Es ärgert mich massiv und beim Lesen werde ich stellenweise echt sauer u.a. über die Klischees und Vorurteile, die hier verbreitet werden. Das Gegenteil von gut ist ja bekanntlich gut gemeint und in diese Falle tappt das Buch von der ersten Seite an.
Doch von vorne.
Erzählt wird die Geschichte abwechselnd von Papa Robert und seiner Tochter Sina. Robert ist spielsüchtig, als er keinen Ausweg mehr sieht, überfällt er mit einer Spielzeugpistole eine Tankstelle, wird erwischt, verurteilt und muss dann für drei Jahre in den Knast. Schon bei der Beschreibung der Gerichtsverhandlung fällt auf, dass Systemkritik woanders zu suchen ist. Von gerechtem Urteil ist die Rede und von “schlimmen Straftaten”. Dann steht da auch noch, dass Sina beim Prozess dabei war und es ihr keiner ausreden konnte. What the fuck? Warum auch? Es ist ihr Vater. Warum sollte sie nicht dabei sein? Beim Haftantritt wird Sina dann aber doch ausgeschlossen, obwohl sie mitkommen wollte.
Spoiler: Robert ist furchtbar reuig und immer wieder kommt vor, wie schlecht es ihm geht wegen all den Dingen, die er seiner Familie angetan hat. Er ist der ideale, brave und angepasste Gefangene, dem Knast läutert und zu einem besseren Menschen macht. Das ist Bullshit und entspricht keiner Realität. Das Buch suggeriert es aber permanent , vor allem in den Kapiteln “Hafterleichterung” oder “Offener Vollzug”, wo ein Affentanz veranstaltet wird wegen der ach so wunderbaren Wandlung der Knackis, die nun belohnt werden für ihre Angepasstheit.
Wo die AutorInnen ganz recht haben: Die Welt dort drinnen ist eine ganz andere als die uns bekannte draußen. Mit ihrem Buch versuchen sie Kindern und auch allen anderen zu vermitteln, wie das Leben hinter Gittern aussieht, was es zu essen gibt, wie eine Zelle aussieht oder welche Menschen im Knast leben müssen und arbeiten.
Gleich zu Beginn trumpft das Buch mit einer Reihe Klischees auf: Während die Knackis allesamt zwielichtig, gedrungen, teilweise böse und unsympathisch gezeichnet sind, werden die JustizwachebeamtInnen als nette, freundliche, lustige und offene Menschen vorgeführt. Diese Gegenüberstellung von den Bösen versus den Guten ist platt, plump und einfach nur daneben. Und sie ist respektlos gegenüber den Menschen hinter den Mauern. Diese Respektlosigkeit und die fehlenden Empathie für ihr Schicksal zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch. Suggieriert wird: Das System ist perfekt, die Leute, die gegen die Gesetze verstoßen, sind selber schuld, alle wollen nur ihr Bestes und von Gewalt, die dem System Gefängnis immanent ist, kann keine Rede sein. Damit entsteht der Eindruck, dass Knast fast entspannend ist und irgendwie aufregend, die Gefangenen arbeiten, essen, machen Sport, lesen, quatschen – alles wie draußen, nur dass sie eingesperrt sind.
Das Buch erklärt all diese Dinge nüchtern und scheinbar objektiv. In einfacher, klarer Sprache wird oberflächlich neutral der Sinn, die Funktion, die Arbeit im Knast, Besuch, Probleme und die Entlassung beschrieben. Doch Neutralität ist ein Hirngespinst, vor allem bei einem ideologisch aufgeladenen Thema wie Bestrafung durch Freiheitsentzug.
Noch ein Beispiel:
“Um 6:20 wird er von einem Vollzugsbediensteten geweckt. Das nennt man “Lebendkontrolle”. Herr Adler schließt die Zellen auf und guckt nach, ob alle Gefangenen noch leben.”
Bitte was? Also ja, das stimmt schon so fachlich, aber das kann man doch nicht in dieser Form in ein Buch für Kinder von Gefangenen schreiben ohne weiteren Satz, ohne weitere Erklärung. Jedes Kind wird ab sofort noch viel mehr um seine Liebsten hinter Gittern fürchten. Angst und Einschüchterung sind offenbar noch immer beliebte Mittel in der Erziehung.
Und noch eins:
Bei der Weihnachtsfeier im Knast trifft Sina ein Mädchen aus ihrer Schule, dessen Papa auch im Gefängnis ist. Nun könnte man denken, ach wie schön, eine Verbündete, eine, die das gleiche Schicksal teilt, aber nein, es wird geschwiegen, sich abgewandt, sich nicht weiter gekümmert. Klar doch: Eltern im Knast zu haben ist beschämend und wird nicht weitererzählt. Von wegen Empowernment für Betroffene oder so…
Und noch eins:
“Die Arbeit im Gefängnis wird natürlich auch bezahlt. Etwa zwei bis drei Euro in der Stunde kann man verdienen. …”
Voll. Toll. So neutral, so positiv. Wahnsinn, da werden die Knackis richtig reich, wenn sie so vollkommen unter jedem Mindestlohn ausgebeutet werden, nicht arbeitslosen- oder pensionsversichert sind. Arbeit im Knast ist ein lukratives Geschäft, vor allem für alle Unternehmen, die dort billig produzieren lassen. Aber das führt dann doch zu weit für ein Kinderbuch…
Ich mag mich gar nicht weiter an diesem Buch abarbeiten, ich kann es einfach nur entsetzt beiseite legen. Die Kinder, die ich kenne und deren Eltern im Knast waren oder sind, würden sich von diesem Buch verarscht fühlen. Sie wären verletzt von diesen unempathischen Schilderungen über Gefangene, die ihre Väter, Mütter, Brüder oder Schwestern sind und würden den Satz im ersten Kapitel “Denn in ein Gefängnis kommt man nicht so leicht, erst recht nicht als Kind.” entschieden verneinen. Sehr viele Kinder besuchen regelmäßig Angehörige hinter Gittern und wissen schon bald genau, wie alles abläuft und was es heißt, marginalisiert in dieser Welt zu sein.
Die ein oder zwei kritischen Sätze der Institution Gefängnis gegenüber nutzen da leider auch nicht mehr.
Thomas Engelhardt, Monika Osberghaus: “Im Gefängnis. Ein Kinderbuch über das Leben hinter Gittern” (Klett Kinderbuch)