Alle Menschen weinen irgendwann aus vielen verschiedenen Gründen, und doch ist das Thema immer auch mit Tabus, Klischees und Vorurteilen verbunden, warum wer jetzt z.B. bitte nicht zu weinen hat. Und dann ist da noch der gesamte, durchaus komplexe biologische Prozess des Weinens, der rein technisch betrachtet ein besonders spannendes Wechselspiel zwischen Emotionen und körperlichen Vorgängen bietet.
Das Tolle am Buch: “Heul doch!” vermittelt uns beide Aspekte: Informationen und Zugänge zu Gefühlen, warum Menschen, egal ob sie groß oder klein sind, in Tränen ausbrechen. Plus gut verständliche und simpel aufbereichtete Häppchen mit allerlei Wissenswertem über Tränen, wisschenschaftliche Hardfacts, Infos über Redensarten, Geschichtliches und kurze Einblicke in die Kultur des Weinens.
Ich oute mich gleich: Ich steh voll auf das Buch, das vom Tyrolia-Verlag ab ca. 4 Jahren empfohlen wird, da es eine so gelunge Mischung ist und die große Palette an Emotionen aufzeigt und zugänglich macht. Das Kind (4,5 Jahre alt) hat die Liebe zu “Heul doch!” nicht so ganz gefunden, sie findet es fad und hat auch wenig Interesse herauszufinden, warum die unterschiedlichen Personen im Buch weinen. Auch die in rot, weiß und blau gehaltenen Illustrationen können sie nicht richtig fesseln, dabei ist die Vielfalt der abgebildeten Protagonist_innen eine einzige Freude. Doch was nicht ist, kann ja noch werden (hoffe ich).
Einmal im Jahr trifft sich die Groß- bzw. Patchworkfamilie des Ich-Erzählers (btw. ein Kind, das im Rollstuhl fährt), die kreuz und quer verstreut auf der Welt leben. Die Familie besteht aus Mama und ihrer Freundin Marion, den Geschwistern Adele und Adolfo, Papa, diverse (u.a. schwule) Onkel mit PartnerInnen, 2x Oma und Opa und der Uroma, die übrigens nie weint, weder wenn sie mit einem Ball abgeschossen wird, noch wenn sie traurig ist. Weil sie früher nach dem Krieg so viel geweint hat, ist nun keine Träne mehr übrig.
Bei so einer Familienzusammenkunft wird viel geweint, klar. Gleich zu Beginn weint unser Erzähler, weil er fürs Foto stillsitzen muss und ihn das wütend macht. Mama weint aus Schmerz wegen eines Balls, der sie im Gesicht getroffen hat, Oma Ostsee weint wegen Weltschmerz.
“Das ist ein Gefühl von schwerer Traurigkeit. Oma Ostsee bekommt es, wenn sie an die schlimmen Dinge denkt, die auf dieser Welt passieren und sich dabei so hilflos wie ein Wattwurm fühlt.”
Allein für diese Erklärung könnte ich der Autorin Frauke Angel vor Dankbarkeit um den Hals fallen, denn ich habe nie eine so treffendere Erklärung gefunden, die so easy auch von Kindern verstanden werden kann. Diese Form der sehr speziellen Traurigkeit kommt nämlich so gut wie nie in Kinderbüchern vor, daher definitiv eins meiner persönlichen Highlights. Dann wird noch von Tränen erzählt, die unsichtbar bleiben, weil z.B. nur heimlich geweint wird. Oder Weinen vor Glück und Freude oder auch Weinen auf Kopfdruck, da die zwei Klaus-Onkels Schauspieler sind.
Einziger Wehmutstropfen: Die unnötige, weil binäre Erklärung, dass Frauen mehr weinen als Männer – das wäre so nicht notwendig gewesen, wenn auch der Satz danach die Message abschwächt (“Auf alle Fälle ist Weinen ein Teil der Kultur, der Umgang damit wird erlernt.”) Hier wäre ein diversere Zugang wünschenswert oder ein kleiner Hint in Richtung toxischer Männlichkeit, der sich gut einbauen ließe…
Frauke Angel & Stephanie Brittnacher: Heul doch! (Tyrolia, 2021), € 16,95