Alltagsgeschichte und Stadtentwicklung: Die Straße. Eine Bilderreise durch 100 Jahre

Das Geschichte-Sachbuch Die Straße ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil, illustriert von Gerda Raidt, besteht aus wimmelbildartigen Doppelseiten die, einen Einblick in das Leben zur jeweiligen Zeit geben.  Links sieht man eine Straße einer typischen deutschen Innenstadt, rechts ist das Innere eines Wohnhauses abgebildet. Der obere Stock ist der Salon einer vermutlich wohlhabenden und im unteren wohnt eine proletarische Familie. Das Buch beginnt im zur Zeit des wilhelminischen Kaiserreichs und endet in der Jetztzeit. Dazwischen: Die 30er Jahre, das Kriegsende, die Zeit des Wirtschaftswunders, die Auf- und Umbrüche rund um die 68er und die beginnende Digitalisierung der 90er Jahre. Anhand der Bilder können die Leser_innen nachvollziehen, wie sich das Stadtbild und das Leben überhaupt im Laufe der Zeit verändert haben und auch dass die Gesellschaft nicht immer so divers war, wie sie jetzt ist.

Die 60er Jahre: Hitler am Dachboden, die Frau in der Küche. © Illustrationen von Gerda Raidt aus „Die Straße“

Die Einblicke in die Wohnräume halten höchst interessante Details zur Alltagsgeschichte bereit: Ende des Zweiten Weltkriegs, Zerstörung und keine anwesenden Männer. An der Wand der wohlhabenden Familie deutet ein Fleck darauf hin, dass dort ein Bild hing. Dieses findet sich am Dachboden wieder und zeigt das Portrait von Hitler. In den nächsten 30 Jahren verändert viel im Haus, aber das Bild bleibt am selben Ort stehen. Ein kluger symbolischer Hinweis auf die mangelhafte Entnazifizierung der Gesellschaft. 

Die 80er Jahre: Die Frau immer noch in der Küche.

Neben den Einrichtungsstilen der jeweiligen Zeit hat Gerda Raidt auch den Wandel der Rollenbilder dargestellt. Während der Platz der Frau jahrzehntelang hinter dem Herd ist, sieht man, dass sich in den letzten Jahren diesbezüglich etwas verändert hat: Ein Vater füttert sein Baby in der Küche, in der neu ausgebauten Dachgeschoßwohnung steht ein Mann in einer Designerküche, kocht und schaut Kochshows. 

Alltagsgeschichte(n)

Für den zweiten Teil des Buches hat Christa Holtei spannende Informationen und komplexes Hintergrundwissen zu Themen, die in der Lebenswelt von Kindern eine Rollen verständlich, anschaulich aufbereitet. Sie beschreibt wie sich spielen und lernen, Haushalt und Hygiene, das Berufsleben und die Arbeitswelt, Transportmöglichkeiten und Kommunikationswege im Laufe der letzten hundert Jahre verändert haben. 

Wir sind uns hier einig: „Die Straße“ ist ein absolut großartiges, spannendes, kluges und durchdachtes Sachbuch zu Alltagsgeschichte und Stadtentwicklung, das definitiv nicht nur Kinder (ab 6) begeistert. 

Gerda Raidt, Christa Holtei: Die Straße: Eine Bilderreise durch 100 Jahre
32 Seiten, 14 Euro, ab 7 Jahren
Beltz&Gelberg 2019


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