Mein Leben als lexikalische Lücke

Kyra Groh erzählt in ihrem zweiten Jugendroman eine Liebesgeschichte aus zwei Perspektiven. Benni ist 18 und lebt gemeinsam mit seiner schon betagten, katholischen Mutter, die ihm wenig Freiräume für seine Entwicklung lässt, in einer kleinen, altmodisch eingerichteten Wohnung voller Kruzifixe. Eingeengt fühlt sich auch Jule. Sie ist 16 und kommt aus einer recht „einfachen“ Arbeiter_innenfamilie. Ihre Eltern haben wenig Verständnis für ihre Weltanschauung und ihre aufkeimendes politisches Engagement, etwa für Fridays for Future oder antirassistische Initiativen. Von ihnen als normaler gesehen wird hingegen Dustin, bei dem sich ein schleichender Rechtsradikalisierungsprozess abzeichnet.

Jule und Benni haben mit unterschiedlichen ihren familiären Hintergründen zu kämpfen. Mit anderen sprechen die beiden innerlich zerrissenen Teenager nicht darüber, sie führen gewissermaßen ein Doppelleben und fühlen sich wie eine lexikalische Lücke – ein Wort im Satz, dessen Bedeutung noch zu definieren ist.

Erst als sie aufeinander treffen, Vertrauen aufbauen und sich in weiterer Folge ineinander verlieben, beginnt eine aktive Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Herkunft. Dadurch wird Lebenswelt der beiden ziemlich auf den Kopf gestellt, was sich als nicht gerade einfach erweist, sondern sie immer wieder vor große Herausforderungen stellt. 

Es ist schon komisch, wie viele Umwege ich mir angewöhnt habe, um einem aufklärerischen Gespräch mit meinem Eltern und Dustin aus dem weg zu gehen. Als wäre es sonderlich schwierig, ihnen einfach zu sagen: „Das ist mein festes Shampoo, es liegt jetzt neben eurem Kram in der Dusche, get over it.“

Mein Leben als lexikalische Lücke ist eine mitreißende und zeitgemäße Geschichte, die über eine erste Liebe, aber auch darüber hinaus noch so viel mehr erzählt. Kyra Groh ist es gelungen, wichtige Themen wie politische innerhalb der Kernfamilie, die Mühsamkeit der eigenen Emanzipation von der gesellschaftlichen Herkunft und Dinge, die viele Jugendliche aktuell bewegen, einzubauen. Groh erzählt im Nachwort, dass sie das Buch vor der Ausbreitung der Covid-10-Pandemie fertiggestellt hat. aber es jetzt noch viel besser passt. Im Hinblick darauf, dass sich gerade durch Corona in vielen Familien die Diskrepanz der politischen Ansichten verschärft hat, schließe ich mich dem absolut an. 

Kyra Groh: Mein Leben als lexikalische Lücke
448 Seiten, 18 Euro, ab 14 Jahren
Arctis 2021

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