Die Stadt war nie wach: Gegen Gewalt (an)schrei(b)en

Als großer Fan von Lilly Axster und ihren bisherigen Werken war ich super-gespannt auf das aktuell vorliegende Jugendbuch, das ich so ab ca. 14 Jahren aufwärts empfehlen würde. Aufgrund der sprachlichen Komplexität leider wohl recht schwierig für bildungsfernere Jugendlichen zu lesen und auch aufgrund des Themas lege ich allen, egal wie alt, begleitende Gespräche mit Bezugspersonen ans Herz.

Mich hat das Buch von der ersten Seite an gefangen genommen und in seinen Bann gezogen oder besser in den Bann von ALLE FÜNF. ALLE FÜNF sind Minh, Hannes, Reza, Ayo und Tony und stellen sowas wie das Dream Team meiner Jugend in puncto Freund_innenschaft, Liebe, Solidarität, Austausch und Vertrauen da. Sie sind eine eingeschworene Gemeinschaft und noch mehr und allein schon deren Beziehungen zueinander, die Gespräche und Gedanken bringen eine Dynamik zu Tage, die so ungewohnt ist und erfrischend gut ohne klischeehaftes die-Jugend-von-heute auskommt.

Niemand fragt, was los ist,
und niemand sagt, was los ist,
weil nicht klar ist, was los ist.

Einer von ALLE FÜNF wird Zeuge einer Situation voller sexualisierter und Machtmissbrauch im schulischen Kontext. Er weiß um dessen Unrecht, gerät aber schnell in den Strudel aus schlechtem Gewissen, selbst erpresst werden, subtilen Drohungen und den niederträchtigen Machenschaften des Vertrauenslehrers, der dessen Unsicherheit und Verletzlichkeit ausnutzt, um sein eigenes Handeln zu vertuschen.

Lilly Axster weiß, worüber sie schreibt. Seit vielen Jahren arbeitet sie beim Verein Selbstlaut, der sich gegen sexualisierte an Kinder und Jugendlichen einsetzt und neben Beratungen für Betroffene auch Präventionsarbeit anbietet. Im Buch wenden sich ALLE FÜNF am Ende auch an eine Beratungsstelle und bekommen Informationen und Unterstützung, um aus der Dynamik, die sexualisierte Gewalt oft mit sich bringt, ausbrechen zu können.

Wenn man so will, hat das Buch also eine Art Happy End, eine Lösung aus der zwischen drin scheinbar ausweglosen Situation. Die jungen Menschen bekommen Hilfe – die wird beendet. Bis es jedoch so weit ist, muss die lesende Person durch ein Dickicht von Anschuldigungen, Unklarheiten, Ängsten, Panik, Entfremdung, Hass. Das Lesen tut fast weh, so treffend wird die Realität rund um Missbrauchserfahrungen und der Druck, dem Menschen deswegen ausgesetzt sind, geschildert.

Ich habe lange überlegt, ob mir ALLE FÜNF zu perfekt á la Super-Held_innen-like für Jugendliche vorkommen, zumindest was ihre Beziehungen untereinander betrifft, ihr Hang zu hochgradigen Selbstreflexionen und ihre beeindruckende Intelligenz. Aber ich verneine das. Sie haben ALLE FÜNF Ecken, Kanten und Fehler, Selbstzweifel und sind egoistisch, und darüber hinaus einfach nur großartig.

Ein wahnsinnig gutes, wichtiges, beeindruckendes Buch. Lilly Axster spielt mit der Sprache, mit Worten und Bedeutungen und findet doch immer punktgenau die richtige Beschreibung für Situationen, Gefühle oder Kopf-Wirrwarr und man darf gespannt auf ihre nächsten Bücher sein.

Wer mehr darüber will: Es gibt zum Buch ein Radio-Interview mit der Autorin aus der Sendung “Bauch Bein Po – Die Sendung für queere Ohren” von Radio Orange.

Lilly Axster: Die Stadt war nie wach (zaglossus)

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