Vor kurzem forderte Luise Strothmann in einem sehr lesenswerten Artikel in der taz auf, Kinderbücher, die vor Fremden warnen, radikal zu entsorgen. Diese Werke, von denen es unzählige gibt, haben allesamt den Anspruch vor sexualisierter Gewalt schützen und beschränken sich doch nur auf die Botschaft „Ich gehe nicht mit Fremden mit“. Das ist fatal. Die Autorin erklärt die Problematik dahinter, die in erster Linie ein Ausdruck des verkorksten Umgangs mit sexualisierter Gewalt ist. Für Kinder ist allen voran das engste Umfeld und die eigene Familie ein gefährlicher Ort.
Die Art wie Täter konstruiert werden, ist mehr als unbedarfte Pädagogik. Der „Kinderschänder“ erfüllt eine gesellschaftliche Funktion. Er ist „der Andere“, möglichst fremd, möglichst weit weg. Damit lenken wir davon ab, dass es um alle geht.
Wirkliche Prävention vor Missbrauch ist höchst anstrengend, weil sie Dinge beinhaltet, die auch Erwachsene nicht können und die im Alltag oft nerven, so Strohtmann im Text weiter. Bei diesem Prozess können Kinderbücher sehr wohl unterstützen. Wenn es darum geht, wie man eigene Grenzen zieht und die von anderen wahrt, wenn Konsens und das Bewusstsein für den eigenen Körper thematisiert werden, zum Beispiel.
Und im besten Fall: [wenn sie vermitteln] dass man in Notsituationen von anderen Hilfe erwarten kann. „Denn alle, die groß sind, sollen sich um die kümmern, die klein sind. So ist das.“ So endet ein tolles Kinderbuch zu Gewalt in der Familie.
In ihrem Text hebt Strothmann das wichtige Kinderbuch Klein lobend hervor, dass sich dem Tabuthema häusliche Gewalt annimmt. Mit Bösemann ist nun ein weiteres (ebenfalls skandinavisches) Kinderbuch auf Deutsch erschienen, das in die gleiche Kerbe schlägt und klarstellt: Kinder sind nie Schuld, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Und es gibt Erwachsene, die ihnen helfen können.
Die Geschichte rund um Boj ist, sowohl was den Text, als auch was die Illustrationen betrifft, extrem beklemmend. Das Buch umschreibt aber beschönigt nichts. Bojs sonst ziemlich normaler Vater wird immer wieder gewaltätig. Sein Leben und das und seiner Mutter ist geprägt von den massiven Stimmungsschwankungen und der Angst vor der unberechenbaren Wut und Aggression des Vaters. Jegliches Vemeidungsvehalten ist zwecklos. Boj erklärt sich die Gewaltausbrücke seines Vaters so, dass Bösemann von ihm Besitz genommen hat
„Bitte lieber Papa, lass Bösemann nicht rauskommen. Ich will artig sein. Ich werde kein Wort sagen. Ich werde nicht atmen.“
Die Mutter schafft es längst nicht mehr, sich und ihr Kind zu schützen. Schließlich befreit sich Boj eines Tages selbst, sucht nach Hilfe und findet sie.
Gro Dahle und Svein Nyhus haben das Buch in Zusammenarbeit mit einer Familientherapeutin und in Kooperation mit einem Gewaltschutzprojekt gemacht. Sie vertreten die Botschaft: Es gibt keine Toleranz für gewalttätiges Verhalten. Den betroffenen Familien vermitteln sie: Ihr seid nicht allein. Es ist nicht eure Schuld. Ihr müsst darüber sprechen.
Bösemann ist kein schönes aber ein wichtiges und notwendiges Buch. Es eignet sich vor allem in einem professionellen Kontext in der Arbeit mit Gewaltüberlebenden. Im Gegensatz zu Klein ist es kein Werk, dass frei zugänglich herumstehen sollte, sondern immer nur begleitet (vor)gelesen werden.
Gro Dahle, Svein Nyhus: Bösemann
Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
48 Seiten, 18 Euro, ab 5 Jahren
NordSüd 2019
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