Liebeskummer, Pickel und Sex: Aufklärungsbücher für Jugendliche

Diese Rezension stammt von Gastautorin Conny Lindner . Sie ist freiberufliche Sexualpädagogin, Sexualberaterin, Supervisorin und Beckenbodentrainerin in Wien.



Mit Kindern und Jugendlichen über Sexualität, Körper und Gefühle zu sprechen ist für viele Erwachsene eine Herausforderung. Umso wichtiger ist es, dass in jedem Haushalt mit Kindern und Jugendlichen qualitativ hochwertige Aufklärungsbücher dem Alter des Kindes/des*der Jugendlichen zu finden sind. Empfehlenswerte Bücher für Klein-, Kindergarten- und Volksschulkinder wurden in diesem Posting gesammelt.

Doch welche Aufklärungsbücher sind für Jugendliche ab etwa 14 Jahren spannend? Aufklärungsbücher für diese Zielgruppe zu finden ist gar nicht so einfach, wenn man nicht unbedingt ein „Was Mädchen/Jungs wissen wollen“-Exemplar wählen möchte. Von denen gibt es nämlich so einige. Jene, die nicht schon am Titelblatt Geschlechterbinaritäten fördern, sind leider selten.

Dabei sind Aufklärungsbücher in der Pubertät sehr wichtig. In dieser Zeit des Lebens, die große Veränderungen mit sich bringt, sind die Bezugspersonen oftmals nicht mehr die Nummer-Eins-Quelle für Informationen – insbesondere wenn es um geht. Deshalb ist es wichtig, qualitativ hochwertige Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Bücher zum Thema Sexualität haben im Leben der Jugendlichen große Konkurrenz, denn viele holen sich ihre Infos von Freund*innen und im Internet – und diese Informationen sind oft nicht richtig.

Um mit dieser Konkurrenz mitzukommen, müssen Aufklärungsbücher dasselbe bieten, wie Internet und Peergruppen – nur eben mit qualitativ hochwertigem Inhalt: Sie müssen leicht zugänglich sein, konkrete Infos und Tipps bieten, einfach und spannend aufbereitet sein und unabhängig von vermeintlich „peinlichen“ Aufklärungsgesprächen mit Erwachsenen sein. Dass auch Aufklärungsgespräche mit Bezugspersonen nicht peinlich sein MUSS, ist ein anderes Thema. 🙂

Wer Jugendlichen Bücher zu den Themen Sexualität, Gefühle, Pubertät etc. zur Verfügung stellen möchte, steht somit nicht nur vor der Herausforderung, ein passendes zu finden, sondern auch sollte sich auch eine Möglichkeit überlegen, wie das Buch an die jugendliche Person kommt, ohne dass es „unangenehm“ wird. Aufklärungsbücher sind somit nicht unbedingt die geeigneten Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke, die umgeben von Familienmitglieder*innen von Jugendlichen gerne ausgepackt werden. Sogar Unterhosen finden einige Jugendliche als Geschenk weniger peinlich… Natürlich spricht nichts dagegen, das Buch in kleinem Rahmen als Geschenk zu überreichen – das ist aber sehr personen- und situationsabhängig und erfordert ein wenig Sensibilität der Erwachsenen.

Am einfachsten umgeht man das ganze, indem das gekauft und im Bücherregal oder Wohnraum gut sichtbar platziert wird. Dennoch ist es auch gut, Jugendlichen zu vermitteln, dass die Bezugspersonen als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Der Umgang mit Sexualität ist natürlich von Familie zu Familie unterschiedlich. So möchte ich nicht ausschließen, dass es Jugendliche gibt, die sich auch in der Pubertät an ihre Bezugspersonen wenden, wenn sie Fragen zu Sexualität haben.

Make Love. Ein Aufklärungsbuch. Ann-Marlene Henning, Tina Bremer Olszewski

Ich verwende Make Love seit Jahren in der Arbeit mit Jugendlichen, sei es im Sexualpädagogikunterricht oder in der Jugendarbeit.Obwohl das viel Text hat, ist es jugendfreundlich geschrieben und bietet eine Mischung aus Jugendsprache und Fachjargon, der nicht vernachlässigt werden darf. Make Love geht lebensweltnah auf den Alltag vieler Jugendlicher ein und gibt auch klare Tipps, die sich Jugendliche während der Pubertät oftmals wünschen. So werden Themen wie Masturbation, Grenzen, erstes Mal, Verhütung, Pornos, Sexstellungen etc. angesprochen. Ein ganzes Kapitel befasst sich mit sexuellen Identitäten und der Identitätsfindung.
Zwischendurch lockern sehr explizite Bilder mit nackten Menschen das auf. Die Bilder sind aus meiner Sicht großteils gut gewählt und sehr ästhetisch, auch wenn sie diverser sein könnten. So sieht man zwar hetero- und homosexuelle Interaktionen, die meisten Menschen sind jedoch weiß und schlank. Hier hätte ich mir mehr Vielfalt gewünscht.

Schade finde ich, dass zwischendurch ein heteronormatives Bild vermittelt wird und auch nicht gegendert wird, wenn nicht explizit Mädchen und Frauen gemeint sind. Auch Geschlechterklischees sind manchmal erkennbar, auch wenn diese in einem Kapitel explizit kritisch besprochen werden. Intergeschlechtlichkeit wird leider überhaupt nicht thematisiert, obwohl es ein Kapitel gibt, das die Entstehung des menschlichen Körpers genau erklärt. ZUMINDEST hier müsste das Thema Platz haben.

Trotz der Kritikpunkte finde ich Make Love. empfehlenswert, weil es sehr offen und schamlos mit vielen wichtigen Themen umgeht, die Wichtigkeit von Selbstliebe hervorhebt und großteils auf eine sensible Wahl der Begrifflichkeiten achtet.

Sex. Was du schon immer wissen wolltest. Chusita Fashion Fever.

Über Farbpräferenzen lässt sich bekanntlich streiten, doch bei Sex. fällt sofort das orange Farbschema des Buches auf – mir vor allem negativ, weil das Farbkonzept auch im fortgesetzt wird und aus meiner Sicht Einfluss auf die Leserlichkeit hat.

Das erinnert allgemein an eine Jugendzeitschrift, bietet Quizzes, Comics und Fact-Seiten. Zwischendurch geht die Autorin, eine bekannte spanische Youtuberin, auf gängige Mythen zum Thema Sexualität ein und entkräftet sie kurz und prägnant. Die Zeichnungen zwischendurch sind schön gestaltet, aber vor allem heteronormativ und nicht divers. Die abgebildeten weiblichen Körper sind oft mit dicken Lippen abgebildet und alle Figuren sind sehr schlank.

Grafiken der Geschlechtsteile fehlen vollkommen, wären aber aus meiner Sicht in manchen Kapiteln für die Verständlichkeit wichtig gewesen. So ist auch nach dem Lesen des Buches beispielsweise nicht klar, wie groß die Klitoris wirklich ist.

Die Quizzes bieten witzige Abwechslung und sind sehr nahe an der Lebenswelt vieler Jugendlicher. Bei manchen Fragen gibt es aber aus meiner Sicht keine „richtige“ Antwort, was die Sinnhaftigkeit des Quizzes zum Teil in Frage stellt. Das Quiz „Wie heiß ist eure Beziehung?“ finde ich im Ganzen fragwürdig.

Aus meiner Sicht als Sexualpädagogin sind ein paar Fehler zu finden, wenn auch wenige. Die Autorin selbst schreibt am Anfang, dass sie keine Sex-Expertin ist und das stimmt wohl, sonst würde sie nicht ab und zu Vagina und Vulva verwechseln.

Positiv und innovativ finde ich, dass sie die virtuelle und analoge Ebene durch ihr vernetzt. Die Autorin Chusita veröffentlicht anonym Fragen von ihren Youtubefollowern und beantwortet diese kurz und prägnant. Teilweise finde ich ihre Antworten jedoch zu kurz, da sie zu Missverständnissen führen können. Auch das Generalisieren, das immer wieder im Buch zu finden ist, finde ich nicht angebracht.  So schreibt Chusita „ständig bist du verliebt“ und könnte hier bei Jugendlichen für Verunsicherung sorgen, wenn sie eben nicht ständig verliebt sind.

Allgemein wäre teilweise mehr Sensibilität angebracht gewesen, beispielsweise, indem sie nicht in Du-Form schreibt, sondern sich allgemeiner fasst. Auch ihre Aussage über eine Idealdauer beim Sex ist fragwürdig. Zwischendurch wirkt Chusita ein wenig bevormundend.

Auch die Gliederung des Buches erscheint mir zwischendurch nicht passend. So wird Sexualität mit einer anderen Person vor Masturbation, Flirten, Küssen und Petting thematisiert, obwohl es später nochmal genauer um Sex mit anderen geht. Das Thema Pornografie kommt leider zu kurz, ist aber im Jugendlichenalter sehr wichtig.

Ich bin nicht ganz zufrieden mit Sex., empfehle es aber aufgrund des jugendadäquaten Aufbaus dennoch weiter. Die Jugendsprache, die im verwendet wird, spricht sicherlich viele Leser*innen an. Mit ihrer genauen Thematisierung von Sexting, Orgasmen und verschiedenen sexuellen Identitäten macht sie manche Fehler und Ungenauigkeiten wieder wett.

Ich würde mir eine Mischung aus Make Love. und Sex. wünschen. Bis ein solches hoffentlich eines Tages erscheint, können ruhig beide Bücher ins Jugendzimmer wandern.

2 thoughts on “Liebeskummer, Pickel und Sex: Aufklärungsbücher für Jugendliche

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